Türkei Teil 3
Die Zeit auf Reisen vergeht genauso schnell wie im täglichen Alltagstrott, wenn nicht noch schneller. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass täglich ein vielfaches an Eindrücken zu verarbeiten sind. Die Konsequenz daraus: Freunde - ich komm mit dem Schreiben meines Blogs nicht nach :-)
10. April 2019
In Göreme hatten Carlo und ich vereinbart, noch zumindest bis Batumi zusammen zu fahren. Auf dem Weg dorthin lag östlich der Stadt Kars die alte, seit mehr als drei Jahrhunderten verlassene Stadt Ani, seinerzeit eine wichtige Stätte der Seidenstraße. Diese Ruinen wollten wir noch gemeinsam besichtigen. Die Gesamtstrecke betrug quer durch Anatolien über 950km und wurde entsprechend aufgeteilt in 3 Passagen: von Göreme nach Sivas, von Sivas nach Erzerum - einem bekannten Skiort in der Türkei - und von Erzerum nach Kars. in den jeweiligen Städten buchten wir uns vorab schon Hotelzimmer, so dass es keine lange Sucherei geben sollte, wenn wir müde irgendwo ankommen. Ab und an hielten wir auf der Strecke an, um entweder kurze Verpflegungspausen zu machen, zu tanken oder Fotos zu schießen.
Beim ersten Tankstopp brach an der Royal-Enfield der Schlüssel im Tankschloss ab. Was nicht gerade für Begeisterungsstürme bei Carlos sorgte. Seine Laune besserte sich eigentlich erst bei einem weiteren Stopp um Fotos zu schießen. Diesmal an einer Stelle, bei der wir in einen Feldweg einbogen, um die schneebedeckten Gipfel im Hintergrund zu fotografieren. Der nebenliegende Acker war durchsetzt mit Flusskieselsteinen und sah recht fest und eigentlich befahrbar aus. So schlug ich vor, bis zur Mitte des Ackers zu fahren um den einzigen dort stehenden Baum im Hintergrund und unsere Motorräder als Vordergrund zu platzieren. Doch daraus wurde nichts! Kaum rollte ich auf den Acker, versanken beide Räder bis zur Felge in einen zähen Schlamm. Das war wohl die kleine Rache dafür, dass sich Carlo vor der Ankunft in Göreme ziemlich festgefahren und mit Schlamm vollgespritzt in Göreme ankam - was mich natürlich belustigte. Ich ahnte schon, dass mir nun das Gleiche passiert.
Nur dank des drehmomentstarken Motors der Triumph konnte ich mit langsamen Umdrehungen das Motorrad in Bewegung halten, so dass der Schlamm nicht vom Hinterrad nach oben geschleudert wurde und ich mich eingraben würde. Wie bei einem Baumkuchen legte sich diese zähe, klebrig braune Masse Schicht für Schicht immer dicker werdend um meine Reifen und Felgen, dann auf die Schwinge und schließlich auf meine Kette und um die Bremsen. Nach einem mühsamen Halbkreis durch diesen klebrigen Schlamm bekam ich wieder festen Untergrund unter die Reifen. Was nun? Gleich weiterfahren war mit den vielen Kilogramm unerwünschten Drecks wenig sinnvoll. Also sah ich die zahlreichen Pfützen auf dem Feldweg als die einzige Chance, diesen Ballast wieder loszuwerden. Wie die Kinder hatten wir unseren Spaß. Mit jeder Pfütze wurde mein Motorrad immer leichter. Es bedurfte allerdings einer relativ hohen Geschwindigkeit, die das Wasser so richtig spritzen ließ um alles abzuspülen.
Relativ spät bei starkem Regen und wunderbar fehl-navigiert durch eine weitere schlammige und unmögliche Strße, erreichten wir unser Hotel in Erzerum - so dachten wir. Nachdem das ganze Gepäck bereits abgeladen und der Hotelier mit mürrisch, skeptischen Blicken - ob des ganzen Drecks - uns einen Stellplatz zugewiesen hatte, stellte Carlo fest, dass wir vor dem falschen Hotel standen. Das gebuchte Hotel war ca. 100m weiter. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Der Umstand nochmals wieder alles aufzuschnallen um dann beim richtigen Hotel einzuchecken hat sich in jedem Fall gelohnt. Der neue Hotelier war überaus freundlich und brachte uns erst einmal heißen Tschai um uns aufzuwärmen.
Im Eingangsbereich des Hotels viel uns ein verdrecktes Tandem ebenfalls mit Packtaschen auf. Aber an diesem Abend begegneten wir niemanden mehr, der dazu passsen konnte. Der Hotelier meinte nur, dass der Tandemfahrer alleine sei. Und wir dachten noch HÄÄÄH? Wieso das denn?
11. April 2019
Am nächsten Morgen kümmerte sich Carlo um eine Lösung, den abgebrochenen Schlüssel aus dem Tankschloss zu bekommen. Und auch hier zeigte sich wieder die unendliche Hilfsbereitschaft der türkischen Bevölkerung. Erst zog ein Gast des kleinen Hotelcafés los und kam nach ein paar Minuten mit einem Feinmechaniker wieder, der sich die Situation vor Ort anschaute. Dann fuhr Carlo mit dem Mechaniker bis zu einer Werkstatt.
In dieser Zeit kam ein gut durchtrainierter Inder mit langen Haaren in den Frühstücksraum. Dies war eindeutig der Tandemfahrer und konnte über seinen leeren Soziussitz eine sehr interessante Geschichte erzählen. Naresh Kumar sein Name sammelt Gelder für verarmte indische Familien, die sich niemals eine Reise leisten können. Auf seinem langen Weg vom Süden Indiens bis in den Norden Deutschlands - nach Hamburg(!) sammelt er zufällige Fremde und Freunde auf seinem Weg ein und nimmt sie ein Stück auf seinem Tandem mit. In Gesprächen mit seinen Fahrgästen und durch Vorträge erhöht er das Bewusstsein über den Zusammenhang von Menschenhandel und einhergehender Sklaverei.
Hiermit sammelt er Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels ein. Bis Ende Mai möchte er in Hamburg ankommen, um dort an einer großen Rotary-Club Veranstaltung teilzunehmen um auch hier über sein Projekt zu berichten. Die sportliche Leistung und sein Engagement für diese Charity-Aktion hat natürlich eine Vorgeschichte, nachzulesen auf seiner Webseite www.freedomseat.org oder auf Facebook: https://www.facebook.com/freedomseatindia/
Nach einiger Zeit traf Carlo sichtlich zufrieden wieder im Hotel ein. Nicht nur der abgebrochene Schlüssel war entfernt, nebenbei hat er nun auch wieder einen nagelneuen Ersatzschlüssel kopieren lassen. Carlo und Naresh führten noch ein gemeinsames Interview fürs "riding for happyness" Projekt und wir starteten zu dritt um Naresh ein Stück seines Weges zu begleiten.
12. April 2019
In der Stadt Kars blieben wir 3 Nächte. Kars machte bereits 2017 europaweit Schlagzeilen, als die neue Bahnlinie zwischen Kars und Baku in Aserbaidschan als Teil der neuen Seidenstraße eröffnet wurde.
Wir wollten aber eine verlassene Stätte der alten Seidenstraße besichtigen, von der nur noch ein paar wenige Ruinen der größten Bauwerke stehen geblieben sind. Ani war einst eine größten und wichtigsten Städte der Seidenstraße und gehörte zu Armenien. Ani war sogar für lange Zeit als Festung und Hauptstadt der Armenier angesehen. Aber bedingt durch die grenznahe Lage zu Georgien und der Türkei, wechselten die Besatzer und Herrscher über Ani mehrfach. 1239 viel Ani sogar in mongolische Hände und zahlreiche Menschen wurden getötet. Im 14Jahrhundert zerstörte ein starkes Erdbeben die Stadt und leitete den endgültigen Untergang ein. Die verbleibenden Ruinen vor der gigantischen Bergkulisse am Ende der riesigen Ebenen können schon ein magische Wirkung auf die Besucher bewirken.
Aber es kam wie es kommen musste, ich hatte meine eigene Geschichte mit Ani. Wie auf einigen Bildern zu erkennen, liefen gleich bei Ankunft unserer Motorräder zahlreiche Kinder um uns herum und fassten alles an. Den Versuch eines Mädchens an den heißen Krümmer zu fassen, konnte ich gerade noch verhindern. Aber ich hatte ein mulmiges Gefühl. Als würde hier alles ausspioniert, was man denn so mitgehen lassen kann. Daher nahm ich alle Gepäckstücke mit und wir schlossen unsere Bikes zusätzlich noch mit unseren Bremsscheibenschlössern ab.
Bei blauem Himmel, steigenden Temperaturen, meinen schwarzen Motorradklamotten und den schweren Gepäckstücken über meiner Schulter und in der Hand, war die Lust für einen ausgedehnten Spaziergang über das Gelände eher verhalten. Lediglich die vielen lustigen Erdmännchen überall konnten mich motivieren.
Also kürzte ich ab und gönnte mir einen Tschai vor dem Haupteingang des Geländes. Auf einem Plastikstuhl vor einem kleinen Imbisswagen nahm ich Platz und knipste noch ein paar Bilder. Da auch hier die Kinder alles genau beobachten und spielerisch zwischen den Plätzen umherliefen legte ich meine Kamera gleich wieder in meinen Tankrucksack. Nach einer Weile wollte ich wieder etwas fotografieren. Doch wo ist meine Kamera?!? Ich durchsuchte alles und legte jedes Stück aus dem Tankrucksack auf den Tisch - weg! **!*!*! Die Kinder! Der Mann im Imbisswagen wurde aufmerksam und fragte was los sei. Ich erklärte ihm die Situation. Ich erklärte mich einverstanden, dass er die Security ruft. Die Konversation lief mit Hilfe von ein paar Brocken englisch, viel türkisch (was ich wiederum nicht verstand) und mit einem Google-Translator, der aufgrund des Stimmengewirrs stets überfordert war ;-)
Die Kinder wurden von der Security zusammengestaucht und er lies sich deren Taschen zeigen. Vor den Augen der versammelten Mannschaft entleerte ich nochmals meinen Tankrucksack - nichts. Meine kleine Fototasche war auch leer. Ich verstand die Aufregung und war auch sicher, dass die Aussage "Hier wird nie etwas geklaut" aufrichtig gemeint war. Was soll es? Die letzten Bilder hatte ich am Vortag gesichert.
Mittlerweile war auch Carlo wieder vom Gelände zurückgekehrt. Betroffen ging ich zum Motorrad und wollte es einfach nicht wahrhaben. Als ich mein Bremsscheibenschloss in die verdreckte Aufbewahrungstasche stecken wollte, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Meine Kamera war dort hineingerutscht. Oder ich hatte sie unbewusst, um sie besser zu verstecken da hineingelegt. Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls entschuldigte ich mich bei allen Beteiligten und auch bei den Kindern regelrecht unterwürfig. Dies wurde auch mit einem sehr herzlichen entgegenkommen und fröhlicher Verabschiedung angenommen. Dennoch war es mir extrem peinlich. Shit happens.
13. April 2019
Die letzte Fahrt durch die Türkei. Es geht bis ans schwarze Meer.
Gegen 10Uhr starteten wir von unserem Hotel in Kars aus in Richtung schwarzes Meer und Batumi. Dies wurde die letzte Fahrt durch die Türkei. Laut Routenplan ging es über mehrere Pässe mit über 2000m - der höchste Pass war auf rund 2470m. Sie Sonne schien in Kars und es war angenehm warm. Dennoch rechnete ich mit eisigen Touren auf den Pässen und zog deshalb alle meine Thermoschichten an, was beim aufschnallen des Gepäcks mal wieder für Schweißausbrüche sorgte. Mein Plan war schon am Vortag, dass wir gleich erst einmal eine Tankstelle ansteuern sollten, obwohl mein Bordcomputer noch 120km Reichweite anzeigte. War davon nicht zu begeistern - warum konnte sich mir nicht erschließen. Er blieb dann tatsächlich vor der Tankstelle stehen und wartete auf mich. Etwas verwundert dachte ich mir, dass er wohl seine Gründe haben wird. Mir war es bereits eine Lehre in Ostanatolien so viele trockene Tankstellen anzutreffen. Und so kam es, dass auch heute wieder 4 Tankstellen in Serie kein Normalbenzin mehr anzubieten hatten. Nun lief die Royal-Enfield mit den letzten Tropfen Sprit. Die Konsequenz daraus war, dass wir nur noch mit verhaltener Geschwindigkeit vorwärts kamen damit Carlo Sprit sparen konnte. Ich behielt ihn stets im Rückspiegel, um zur Not meinen vor Tagen befüllten Reservekanister zum Einsatz zu bringen. Wohl auf den letzten Kilometern entdeckten wir etwas abseits unserer Route eine Ortschaft, die ganz danach aussah, auch eine Tankstelle zu beherbergen. Zum Glück war es auch so. Und sie hatte auch soviel Benzin, um den Tank der Royal Endfield und den der Triumph nochmals randvoll zu befüllen.
Die nun folgende Strecke zählt eindeutig zu den bisher eindrucksvollsten und schönsten Strecken der Tour. Wir schraubten uns langsam immer höher und waren auf einmal mittendrin in einer schön verschneiten Winterlandschaft. Die Straße war schmal und holprig. Der Himmel war wolkenfrei und so genoss ich trotz der Kälte diese Fahrt. Nur wenige Autos begegneten uns, aber auch einige große Sattelschlepper, die uns Motorradfahrer stets mit Hupen und freundlichem Winken begrüßten. Wir erreichten schließlich den "Cam Gedici" mit seinen 2470m. Das obligatorische Passfoto - nicht zu verwechseln mit einem Passfoto ;-) - und das Bewusstsein, dass wir nun endlich die seit Tagen mittleren Höhen von 1600m bis 1800m über dem Meeresspiegel auf eben dieses Niveau herunterschrauben können, machte uns echt fröhlich. Wer in der Schule aufgepasst hat weiß, dass die Temperatur sich um 1 Grad je 100m Höhenunterschied ändert. In unserem Fall bedeutete dies, dass wir in wenigen Stunden endlich mal mindestens 20Grad haben werden. Die Landschaft änderte sich merklich. Anfangs türmten sich noch bis zu 3m hohe Schneemauern am Rand der Straße auf, aber dann tauchten wir in eine Landschaft ein, die sich durchaus auch in der Schweiz hätte befinden können. Nach einer Kehre tat sich dann ein Blick auf, der bis in die Ebene des schwarzen Meer reichte. Carlo hielt auf einem Parkplatz an. Ich fuhr noch 100m weiter in eine weitere Parkbucht um Fotos zu schießen. Die ganze Fahrt lang hörte ich schon Musik über meine Bluetooth-Anlage. Kaum zückte ich meine Kamera, startet das Lied "What a wonderful world" von Louis Armstrong. Mit einem Male zerriss es mich. Ich dachte an alle meine lieben Menschen, an meine Frau, meine Familie, der Moment war überwältigend!
Unzählige Kurven folgten, entlang des Flusses Çoruh der in Erzerum entspringt, durch einen wunderschönen Canyon, vorbei an gemütlichen Bergdörfern, kamen wir zur großen Deriner-Talsperre mit gigantischen Ausblicken. Bisher mussten wir immer wieder mit Schlaglöchern rechnen, die Straße war oft geflickt und unruhig, aber dennoch gut fahrbar. Aber nun folgte eine Straße, ich war mir sicher, die musste ein Motorradfahrer gebaut haben! Links - rechts - links - rechts ... über viele Kilometer auf einem absolut sauberen Teerbelag. Ich kam so richtig in einen Flow, ein Gefühl wie fliegen, alles läuft flüssig und ohne Anstrengung aber mit viel Fahrspaß. So kamen wir schnell immer tiefer und schließlich wurde es so warm, dass wir unsere inneren Thermoschichten ausziehen mussten. Bedeutete aber auch, dass ich mal eben nur in Unterhosen neben meinem Motorrad stand :-)
Wir erreichten das schwarze Meer und machten an einem kleinen Ausflugslokal direkt am Wasser eine Pause. Ich brauchte endlich mal einen Kaffee und etwas zu essen. Doch so kurz vor der Grenze nach Georgien hielt es uns hier nicht allzu lange.
Wir sehen uns in Georgien wieder!