19. Mai 2019
Was um Himmels willen ist ein halbe Ausreise aus einem Land?
Das war mal wieder so ein typischer Engel-Fauxpas. Die ganze Zeit war ich der Meinung, dass mein Visum für Tadschikistan ab dem 19.05. gültig ist. Doch als wir in Samarkand gestartet und nach einer einstündigen Fahrt durch sehr ländlich geprägten Landschaften an der Grenze ankamen, wurde ich des besseren belehrt. Das Ausreise-Prozedere aus Usbekistan war schnell überstanden, doch dann schien es bei der Einreise-Passkontrolle irgendein Problem zu geben. Erst bei meiner Nachfrage schauten die diskutierenden Grenzbeamten von meinem Visum zu mir auf und meinten, dass mein Visum erst ab morgen gültig ist. Ach kommt, bitte, das ist doch jetzt ein Scherz! Dachte ich mir so. Aber als ich mir das Datum 20/05/19 noch einmal genauer angeschaut hatte war mir klar, dass ich es wegen meiner Programmiertätigkeit falsch herum, also den Tag als letztes heraus gelesen hab wie bei der Schreibweise: yy:mm:dd. Dann hieß es, ich müsste morgen nochmal wieder kommen. Oh nee! Bitte schickt mich jetzt nicht allein wieder zurück! Ich hab Magenprobleme!
Ich blieb hartnäckig und kam 2x oder 3x zurück zum Schalter um nach einem kostenpflichtigem Tagesvisum zu fragen oder nach andere Alternativen. Die Beamten kamen mir entgegen und meinten, der früheste Zeitpunkt wäre heute Nacht um 23:00Uhr zurück an die Grenze zu kommen und um Pass und Visum stempeln zu lassen. Fahren in der Nacht war aber für mich ausgeschlossen. Ich blieb weiter hartnäckig.
Die Zollbeamte gaben sich Mühe und telefonierten einige Male. Nach einigen Minuten kam ein höherrangiger Beamte auf uns zu, der sehr sehr freundlich uns eine Lösung anbot. Wir dürfen bis ins 20km entfernte Panjakent einreisen und uns dort im Hotel Zarafshon einnisten. Meinen Pass und Visum behielt der Grenzbeamte bei sich und würde ihn heute Nacht abstempeln lassen. Am nächsten Vormittag würde dann der Pass per Kurier zum Hotel gebracht. Mehrere Telefonate wurden anschließend noch mit der Hotelrezeption geführt und dann war die Sache geklärt. Mir war es ganz recht, denn in meinem Bauch herrschte bereits wieder unangenehme Unruhe, so dass das Hotelzimmer eine dringliche Erlösung bedeutete. Außerdem tat mir das für Klaus und Ralf leid, dass sie schon wieder wegen mir so lange warten mussten.
Am 1 Kreisverkehr am Ortseingang von Panjakent wurden wir bereits von Bibijon der hilfsbereiten Dame der Hotelrezeption erwartet. Sie bat uns an der 3. Ampel auf sie zu warten, sie würde mit einem der Sammeltaxis hinterher fahren und uns dann zum Hotel führen. Das alles lief erstaunlich reibungslos und wir bekamen im Hotel Zarafshon ein nettes Zimmer im 2 OG. Der Plattenbau hatte einen typisch sowjetisch geradlinigen Baustil. Der Treppenaufgang hell und jede Stufe eine andere Tritthöhe :D. Unsere Motorräder stellten wir im Hinterhof ab.
Mein Bauch wollte nun seit Tagen nicht wirklich besser werden, so dass ich mir erst einmal in der Apotheke für 1 Euro 4 Imodium-Kapseln gekauft und gleich eine davon genommen habe. Am Nachmittag hieß es endlich die Beine vertreten und die Stadt und den Markt anschauen. Es ist eine andere Welt. Das Leben in Tadschikistan ist mit unseren Maßstäben nicht mehr vergleichbar. Außerhalb der Städte scheint es fließendes Wasser nur noch aus dicken Plastikrohren am Straßenrand zu geben, die hygienischen Verhältnisse – naja! Selbst modisch gaben sich die meisten Frauen hier keine große Mühe mehr. Was uns in Usbekistan stets gut gefallen hat, waren die frischen, fröhlichen Farben der Damenkleider. Hier hingegen, waren es eher schmuddelige mehrschichtige formlose Stoffe. Die Männer liefen alle in Ihren grauen, schmutzigen Stoffanzügen umher. Dennoch war es ein buntes Treiben auf dem Markt, der allerdings kurz vor der Schließung stand und alle bereits ihre Stände halbwegs aufräumten und überflüssigen Dreck, Papp- und Plastikmüll auf den Plätzen zurück ließen. Der Markt mit seinen unterschiedlich starken Gerüchen tat mir allerdings weniger gut, aber ich hielt diesen Rundgang durch. Nur aufs gemeinsame Essen in einem der Schnellrestaurants verzichtete ich gerne und ging vorab schon zurück aufs Zimmer.
20. Mai 2019
Endlich - um kurz vor 11Uhr hörte ich die erlösende Stimme von Bibijon vor unserer Zimmertüre. Sie brachte mir meinen gestempelten Reisepass und das Visum, welche per Taxi für 12Dollar zum Hotel gebracht wurden. Die gleiche Summe gab ich nochmals für Bibijon und ihrem befreundeten Zollbeamten für die netten Dienste. Unser Gepäck war bereits am Morgen auf den Motorrädern verstaut, so konnte unsere Tour endlich weiter gehen. Ziel war der Lake Iskanderkul (der Saage nach eine Träne vom Alexander dem Großen) hoch in den Bergen in einem Naturreservat. Die Auffahrt auf einen vorgelagerten Pass auf 2300m war für mich sehr sehr anstrengend, denn irgendwie war ich immer noch vom Magen her geschwächt und fühlte mich nicht wohl. Die unglaubliche Farbintensität der roten Felswände in Abwechslung mit saftigem Grün und blauem Himmel konnte mich nur bedingt motivieren. Aber schließlich kamen wir am See an und standen vor eine sehr marode wirkenden Ferienanlage. Der Herr Hoteldirektor empfing uns gleich wie ein Angler der einen fetten Fisch am Haken hat. Unsere Lage schien alternativlos, denn eine andere Unterkunftsmöglichkeit gab es hier nirgends.
Der Iskanderkul ist auch ein beliebtes Ausflugsziel der Städter aus Duschanbe, aber zum Glück nicht während des Ramadans, der erst am 06.Juni beendet ist. Auch der tadschikische Präsident soll an dem See eine Wochenend-Residenz oder gar ein eigenes Hotel mit Hubschrauberlandeplatz haben. Aber von unsere Stelle am See konnten wir das nicht sehen.
Somit waren wir alleine in einem wildromantischem Feriendorf, in dem man auch Filme im Stile der schönen tschechischen Märchenfilme hätte drehen können. Eine besondere Sehenswürdigkeit waren allerdings auch die sanitären Anlagen, so wie unsere Hütte. Die dicken Wolldecken auf meinem Bett habe ich vorsichtig entfernt ohne Staub aufzuwirbeln. Zum Glück gab es frische Laken, mit denen ich meinen Schlafsack vor weitere Übergriffe anderer Bewohner schützen konnte. Es ist eben eine Zeitreise, die wir hier machen. Der Versuch in Ruhe bis zum Sonnenuntergang ein, wie sollte es anders sein(?) kühles Bierchen zu trinken wurde allerdings durch den frischen Wind eher eine ungemütliche Angelegenheit. So war auch heute wieder mit beginnender Dunkelheit auch die Schlafenszeit angesagt.
21. Mai 2019
Die Rückfahrt über diese kleine Passhöhe vorm See und der langen unbefestigten Abfahrt bis zur Hauptstraße war wieder durch gigantische Felsformationen und Farbgebung beeindruckend. Somit genossen wir die steile Schotterabfahrt wenn auch nur mit Motorbremse im ersten Gang. Auf einer weit besser geteerten Straße mit zahlreichen schönen Kurven und entlang eines immer breiter werdenden Flusses näherten wir uns langsam der Hauptstadt Duschanbee. Alles am Wegesrand schien wie geleckt mit vielen Fähnchen in Landesfarben und immer wieder große Tafeln mit dem Konterfei des Präsidenten und anderer Großkopferten.
Mit jedem Kilometer bergab stiegen auch die Temperaturen, so dass es um die 35 Grad gehabt haben muss, als wir im Stadtzentrum ankamen. Es war sehr unangenehm in unserer Motorradkluft, aber das Ziel war ja nicht mehr weit. Als erste Anlaufstelle diente die Motorradwerkstatt von Asis, die wir auch relativ schnell fanden.
Kaum öffnete ich die große mit unzähligen Aufklebern von Weltreisenden überzogene Eisentür zur Werkstatt, da grinst mich ein kleiner Italiener sitzend auf seiner Royal Enfield an. Carlo! Er ließ ebenfalls seine Maschine von Asis durchchecken. Welch große Freude! Somit sollte Carlo recht behalten, als er nach meinem Rahmenbruch noch sagte >>Wir sehen uns am Pamir wieder!<< Bis zum Pamir war es noch ein weiter Weg, aber auch für ihn war ich wieder im Spiel :D. Leider hatte er noch einen anderen Termin und verließ die Werkstatt kurz darauf und ein weiteres Treffen hat leider zeitlich nicht mehr hingehauen. Da er nun durch den Besuch seiner Eltern in Duschanbe einige Tage verliert, wird er uns bis zum Pamir nicht mehr einholen können. Schade!
Asis fuhr auf seiner BMW vor und zeigte uns rasch den Weg zum Yellow Hostel, das ganz in der Nähe der Werkstatt gelegen war. Dieses Hostel machte einen sehr guten Eindruck auf uns, außen und innen sehr geschmackvoll eingerichtet und sauber. Der Preis mit 15Dollar pro Nacht allerdings schon recht hoch. Dafür gab es ein hübsches klimatisiertes 3 Bett-Zimmer und eine Einladung zum Dinner am Abend (zum Selbstkostenpreis). Wir luden unser Gepäck ab. Klaus brachte dann als erster seine Maschine zurück in die Werkstatt um seine neuen Reifen aufziehen zu lassen.
Der usbekische Hostelbesitzer war auch ein begnadeter Koch der Landesküche. Alles was er uns am Abend auftischte war komplett selbst frisch zubereitet, sogar die Nudeln in der Suppe. Ich hätte gerne alles und mehr gegessen, aber es ging noch nicht so recht, so musste ich mit etwas Reis und Gemüse vorlieb nehmen. Aber Ralf und Klaus waren absolut von der Geschmacksvielfalt der Soßen und Speisen begeistert.
22. Mai 2019
Die 5 Sterne des Vorabends wurden um einen Stern am nächsten Morgen reduziert, denn das Frühstück bestand aus Resten des Vorabends, also würzige Kartoffeln und Fleisch und dazu trockenes Brot. Das geht besser! Der allgemein Europäer mag es süßer, fruchtiger, leichter und leckerer. An diesem Morgen wollte ich noch nichts sagen - abwarten!
Für heute stand die Verbesserung meines wenig perfekten Gepäcksystem auf dem Programm. Aber zunächst ließ ich neben Asis Werkstatt in einer Autowaschanlage das Motorrad komplett vom Dreck befreien. Wie hatten wir das kürzlich beim Tatortreiniger gelernt (?) Dreck ist nichts anderes als Materie am falschen Ort! Aber Dreck verhindert manchmal den Blick auf Dinge die besser nicht im Verborgenen bleiben sollten. So zum Beispiel angeknackste Rahmenrohre ;-) Nach einer gründlichen Motorradwäsche mit Schaum, Dampfstrahler und Ledertuch für 2 Euro, waren aber derlei Schäden zum Glück nicht festzustellen.
Kette reinigen, trocknen, ölen und neu spannen, dann begab ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Brett, um die Auflage für meine Packsäcke zu verbreitern. Wie der Zufall es so will, war ebenfalls neben Asis Werkstatt eine kleine Möbelschreinerei. Mit wenigen Gesten erklärte ich den Mitarbeitern dort, was ich wofür brauche. Aber überwiegend wurden dort nur 20mm starke Pressspanplatten zurecht gesägt. Das war mir eigentlich zu dick und zu schwer. Auf einem der Reststücke sollte ich die Abmessungen aufzeichnen, da entdeckte ich in der Ecke ein Reststück einer 5mm oder 6mm recht festen Lackfront und die bereits mit den idealen Abmessungen. Mit meinem Letherman, einer Eisensäge und Bohrer aus Asis Werkstatt war innerhalb 20 Minuten eine perfekte Unterlage hergestellt, die nur noch mit Kabelbindern am Gepäckträger angebracht werden musste.
Zwischenzeitlich kamen 2 Mitarbeiter der Schreinerei für eine Zigarettenpause heraus und begutachteten mein Motorrad und meine neue Gepäckablage. Die beiden konnten nur russisch und ich halt nur englisch. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie dann doch interessante Unterhaltungen zustande kommen. Kurzerhand luden die beiden mich auf einen kleinen, wirklich nur winzig kleinen Vodka ein. Den bekamen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem kleinen Magazin. Die Dame in dem winzigen Lebensmittelgeschäft kannte die beiden schon und wusste sofort, was zu tun ist ;-) Tja, wer auf Reisen geht, kann etwas erleben!
Auf dem Rückweg besorgte ich mir in einem kleinen Autoshop ein Flasche WD40 (Öl). Der Ladenbesitzer sah mein Motorrad: Akuda? Amerika? Präsident Trump Moto? Wer lesen kann ist im Vorteil – lol!
In der ganzen Zwischenzeit hat Asis, wie zu erwarten, gute Arbeit an den Motorrädern von Ralf und Klaus geleistet. Beide haben nun neue Socken auf Ihren Felgen, bei Klaus wurde ein kaputtes Radlager festgestellt und ersetzt, und bei Ralf an der BMW wurde die Gummimuffe über dem Kardan aufwendig mit Silikon geklebt. Damit dieses aber noch aushärten kann, blieb die BMW über Nacht in der Werkstatt stehen.
Am Abend waren wir wieder von unserem Hostel-Gastgeber zum Essen eingeladen. Und es war wieder ein Gedicht, sehr lecker, wenn ich auch immer noch mit angezogener Handbremse esse, um meinen Magen zu schonen, gab es reichlich und Ralf und Klaus waren begeistert.
23. Mai 2019
Und wie zu erwarten, gab es auch an diesem Morgen wieder die Reste des Vorabends! Damit in diesem neu eröffneten Hostel nicht alle nachfolgenden Europäer ebenso dumm gucken wie wir, wenn es Frühstück gibt, hab ich diesmal Vater und Tochter über unsere Vorlieben beim Frühstück aufgeklärt :D
Leider war für die gesamte Region am Nachmittag leichter Regen vorausgesagt. Schade! Nach den schönen Tagen zuvor - echt schade! Aber was soll es? Um 11:00Uhr kam Ralf mit seiner BMW endlich aus der Werkstatt zurück. Dann wurde schnell gepackt und es konnte endlich los gehen.
ENDLICH groß geschrieben! Denn die Region in die wir nun hineinfuhren stand immer symbolisch für unser großes Abenteuer: Die Grenzregion zwischen Tadschikistan und Afghanistan, am GrenzFluss Panj entlang, in den Whakan und zur steilen Passauffahrt zum Pamir-Highway M41.
Wir starteten bereits in eine dunstige Wetterlage und je weiter wir uns von Duschanbe entfernten und Höhenmeter gewannen wurde es auch immer kühler. Der Dunst gab leider nicht viele Einblicke in die sicher sehr grüne und zunächst sanft hügelige Landschaft frei. Dann begann es zu tröpfeln und wir zogen unser Regenjacken über.
Nach vielen Kilometern verließen wir die recht gut fahrbare Hauptstraße nach rechts und bogen auf eine, wie sollte es anders sein (?) Schlaglochstrecke ein. Diese sollte uns über einen 2000m hohen Pass in das Tal des Panj führen. Je höher wir kamen, desto schlechter wurde die Strecke. Dann kamen uns auch noch Militärkonvois entgegen, die das Umzirkeln der vielen Felsbrocken und Schlaglöcher nicht einfacher machten. Unsere Motorräder ackerten brav den Berg hinauf, bis wir die Passhöhe erreichten.
Das es sich hier keine normale Bergregion handelt, erkannten wir schnell an einer großen Tafel die vor Tretminen warnt und an der kurz nach der Anhöhe befindlichen militärischen Kontrollstation. Die jungen Soldaten dort waren allerdings weniger an unseren Pässen, mehr an unseren Motorrädern interessiert und flaxten mit uns rum. Doch dann zuckten wir alle erschrocken zusammen: BummBumm Bumm! 3 dumpfe Explosionen kurz hintereinander, in nicht allzu weiter Entfernung, so dass wir sogar die Druckwellen spüren konnten! Auch die Soldaten aus dem kleinen Grenzhäuschen kamen herausgelaufen. Normal war das nicht! Auch wenn ein weiterer Soldat hinter einer Böschung vortrat und uns angrinste. Wir werden wohl nie die Ursache für die Explosionen erfahren. Aber mit Sicherheit war es eine Warnung an uns!
Dann kam die Abfahrt auf einer recht steilen, kurvenreichen, aber breiten und perfekt geteerten Straße die uns auf die Höhe des Panj heranführte und dann über 100km weit durch eine beeindruckend schöne Schlucht unser Herz aufgehen lies. Trotz der regnerisch, grauen Wetterlage hat diese Schlucht eine magische Wirkung auf uns ausgeübt. Riesige LKW-große Felsbrocken die meterdicke Stahlbetonmauern pulverisierten, Straßenabbrüche die umzirkelt werden mussten und gigantische Überhänge erzeugten einen Mix aus Euphorie und Angst - vor Felssturz.
Wir erfuhren diese Landschaft wie als würden wir über sie hinweg gleiten. Bodennahes Fliegen, nenne ich dieses Gefühl von Flow. Doch 40km vor dem Ziel Qalai Khumb war mal wieder Schluss mit lustig! Der moderne Straßenbau erfuhr ein jähes Ende und ging nahtlos in eine unberechenbare schlechte Schlaglochstrecke über. Auch unsere erste echte Wasserdurchfahrt wurde zur Pflichtübung, denn die Straße war durch die starken Regenfälle in den Bergen an mehrere Stellen komplett überspült.
Die Ankunft in Qalai Khumb, fast am nördlichsten Zipfel des afghanischen Grenzverlaufs, erfolgte bereits im Dunkeln. Wahrscheinlich konnte Roma, unser junger wuseliger Hostelbesitzer, uns bei der Anfahrt hören, denn der Weg durch den Ort führte uns zum Ende hin über eine kleine Brücke eines reisenden Flusses und diese Brücke lag unweit der Terrasse vom Hostel. Roma eilte in seinem typischen Laufschritt zur Straße und nahm uns direkt vor seiner Garageneinfahrt in Empfang. Neben unseren Maschinen parkte bereits eine große Reiseenduro eines Slowenen. Sonst waren nur Rucksacktouristen in dem Hostel.
Bei einem, wie soll es anders sein (?), kühlem Bier und einer leckeren Suppe war der kräftezehrende Tag dann schnell zu Ende.
24. Mai 2019
Bereits in der Nacht fing es an zu regnen und dieser verstärkte sich noch im Tagesverlauf. So stand heute nichts anderes auf dem Plan als an unserem Blog zu schreiben, an den Motorrädern zu schrauben, und Wäsche zu waschen. Also gab es nichts was wirklich erwähnenswert gewesen wäre. Doch eines, auch an diesem Tag gab es wieder, wie sollte es anders sein (?) ein kühles Bierchen.
25. Mai 2019
Kurz nach Mittag kam Klaus in mein Zimmer und forderte mich auf mitzukommen. Roma wolle uns was zeigen. Eigentlich war auch heute der Plan, an unseren Webseiten weiter zu arbeiten und gegenseitig Bilder auszutauschen. Dass das Internet hier so miserabel funktionierte, regte mich nur bedingt auf, Ralf und Klaus waren hingegen dadurch richtig genervt. Dies hat anscheinend auch unser Gastgeber mitbekommen. Da er bereits am Tag zuvor von uns nach dem auf einem hohen Felsen stehendem, dem Schloss Neuschwanstein ähnelndem, aber geschmacklosem Bauwerk befragt wurde, wollte er uns nun etwas zur Geschichte und den Zusammenhängen dieses Bauwerks zeigen.
Wir nahmen alle in seinem betagten Mercedes 220 Platz. Ich saß vorne und nach den ersten 50 Metern kramte ich bereits panisch nach dem Sicherheitsgurt, der dann auch nur mit Mühe verriegelt werden konnte. Die Fahrt ging die bereits oben erwähnte Schlaglochstrecke zurück, die diesmal auch noch mit zahlreichen riesigen Pfützen übersät war. Roma gab alles und forderte auch von seinem Mercedes alles was dieser noch hergab. Ich kann kaum glauben, dass die Bremsen bei so einer Fahrweise länger als einen Monat halten. Vollgas bis kurz vors nächste Schlagloch um dann mit Vollbremsung und gewagtem Slalom-Manöver die Schläge wenigstens ein wenig abzumildern. Immerhin war der reisende Panj gleich neben uns gelegen und nur getrennt von einer oft mehreren Metern tiefen Abgrund. Ralf warf dann von hinten ein, dass er versprochen hat, gesund und unversehrt nach Hause zu kommen und Roma solle doch bitte langsamer fahren. Das tat er dann auch zu unser aller Beruhigung.
Auf dem Weg hielten wir kurz bei der Familie Romas ein und luden noch seine Frau und seine kleine Tochte mit ins Auto ein. Die beiden saßen nun vorne, die Tochter auf dem Schoß der Mutter - Sicherheitsgurt? Fehlanzeige!
Endlich kamen wir an der Wochenend-Residenz des Staatspräsidenten Rahmons an. Eine handvoll Bedienstete waren an den Gartenanlagen tätig mit denen Roma sich kurz austauschte um uns Ralf, Klaus und mich schließlich durch das hohe Eingangstor schleuste - Beziehungen eben. Als erstes vielen uns die symbolischen Radfahrer auf einer Mauer auf. Als Roma uns erklärte, dass auf dieser Strecke 2018 die 4 Radreisenden vermutlich vom IS umgebracht wurden und dieses Gebilde zum Gedenken hier aufgestellt wurde, musste ich tief schlucken.
Was wir dann sahen und begehen konnten war an Dekadenz und gleichzeitiger Albernheit kaum zu überbieten. Der Staatspräsident Rahmon, der seit dem Zerfall der Sowjetunion 1992 an der Macht ist, hat hier etwas bauen lassen, dass für die verarmte Bevölkerung wie eine schallende Ohrfeige wirken muss. Ein Mix aus Disneyland, Phantasialand, Fort Fun und Schloss Neuschwanstein als private Wochenendresidenz errichten zu lassen und dabei Millionen zu verschwenden, aber die eigene Infrastruktur des Landes so verkommen zu lassen, ist einfach nur traurig.
Unsere gesunde Rückkehr naim Hostel feierten wir, wie sollte es anders sein (?) bei einem kühlen Bier. Mittlerweile trafen aber auch weitere Motorradreisende im Hostel ein, um ein wenig trockenen Unterschlupf zu genießen. Ein in der Schweiz lebendes deutsches Pärchen dem sich unterwegs der junge Student Alex angeschlossen hatte und eine seit 3 Jahren weltumrundende Holländerin. Alle parkten ihre Mopeds in der Garage die nun fast keinen weiteren Platz mehr bot. So wurde die mit Motorrädern vollgestopfte Garage zu einem interessanten Treffpunkt mit Musikbeschallung, Wartungsarbeiten, etwas Alkoholkonsum und Snacks. Jeder hatte Geschichten von seinen Reisen zu erzählen und einige hatten Probleme mit der eigenen Maschine, welche man ganz nebenbei versuchte aus der Welt zu schaffen. Die brennendste Frage war aber, ob sich das Regengebiet wohl bis zum nächsten Tag verziehen würde. Ralf, Klaus und ich sahen dies positiv und einigten uns auf eine Weiterreise am nächsten Morgen.
26. Mai 2019
Morgens gegen 9:00Uhr waren wir bereit zur Abfahrt und verabschiedeten uns von allen anderen Motorradfahrern und von Roma mit seinem Team. Die Sonne schien bereits zwischen den hohen Felsen und restlichen Dunstwolken hervor und es versprach ein guter Tag zu werden. Unser Ziel war Khorog dem Beginn des M41 Pamir-Highway und dem Abzweig in den Whakan, dem oberen Flusslauf des Panj folgend. Wir hatten keine Hoffnung auf bessere Straßenzustände. Schön gesittet umfuhren wir die zahlreichen Schlaglöcher.
Allerdings hatte ich bereits in den Tagen zuvor das Problem erkannt, das vom Vorderrad hoch spritzende Schlammwasser recht schnell meinen Kühler zusetzte. Solange es ständig Pfützen- und Wasserdurchfahrten gab, war dies weniger ein Problem. Der Dreck wurde dabei jedes mal aufs neue abgespült und wieder aufgetragen. Aber heute am frühen Vormittag war die Situation so, dass es mal viele Schlammspritzer gab und dann lange Zeit trockene Staubfahrten. So bildete sich eine schöne dicke Kruste auf dem Kühler wie bei einem Wiener-Schnitzel. Mein Kühlerventilator war im Dauereinsatz und immer wenn ich ein fließendes Gewässer fand, füllte ich zur Abhilfe eine alte PET-Flasche mit dem klaren Wasser und spritzte den Schlamm so gut es ging aus den Kühlerwaben. Da aber Klaus und Ralf unbeirrt ihre verhaltene Geschwindigkeit beibehielten, hatten sie nach jeder Säuberungsaktion einen beträchtlichen Vorsprung, den ich wieder einholen musste.
Am frühen Mittag waren alle Schlammpassagen weg getrocknet und die Kühler-Reinigung erübrigte sich. Doch ich hatte mittlerweile einen etwas sportlicheren Fahrstil als die beiden und ständig deren Staub schlucken wollte ich auch nicht mehr. So setze ich nach einer Weile zum Überholen an und geriet kurz darauf in einen echten Flow. Es macht einen großen Spaß mit der Scrambler über Schotter- und Sandpisten zu fliegen. Nach wenigen Kilometern wollte ich auch nicht mehr anhalten um meinen Vorsprung wieder dahin schmelzen zu lassen. So fasste ich den Plan bis Khorog vor zu fahren und gleich bei meiner Ankunft für uns alle eine gute Unterkunft zu suchen.
Am späten Nachmittag kam ich in Khorog an und folgte einigen der Homestay-Hinweisschildern. , Doch am Ende der immer enger werdenden Gassen waren wenig Vertrauenerweckende Unterkünfte zu entdecken. So kehrte ich um und fuhr zurück in Richtung Stadtrand. Ein Hinweisschild: B&B Homestay MIR (MIR - der Frieden) erschien mir gleich sympathisch. Nach zwei kleineren Abzweigen stand ich vor einem sehr geschmackvollem und gepflegten Haus mit Holzdachstuhl, großem Garten und Eingangstor zum Innenhof. Kaum traf ich davor ein, öffnete sich auch schon eine Tür und der Hausherr mit großem Cowboyhut fragte nach meinem Begehr. Es dauerte keine 20 Minuten und ich bekam auf der Terrasse reichlich Kekse, lecker selbstgebackenes Brot und selbstgemachte Kirsch-, Pfirsich und Pflaumen-Marmelade zusammen mit grünem Tee und Kaffee serviert. Da die Dame des Hauses zum einen ihren 90jährigen Vater versorgen musste und der englischen Sprache nicht mächtig war, blieb sie meist im Hintergrund.
Wie in allen muslimisch geprägten Ländern pflegt man an niedrigen Tischen ohne Stühle im Schneidersitz zu speisen. Da beim Schneidersitz mein Knochengerüst unter Schmerzen droht auseinander zu brechen, versuchte ich irgendwie meine Beine so zu sortieren, dass ich ausgewachsenes Krümelmonster dicht genug über dem Teller essen konnte und abwechselnd dabei meine Beinkrämpfe mit Knieschmerzen austauschen konnte. Als der Hausherr neben mir Platz nahm, erfuhr ich Genugtuung. Denn ihm erging es nicht anders.
Zwischendurch teilte ich Ralf meine Koordinaten mit und das noch 2 Betten im >>B&B Homestay MIR<< frei sind. Meine Hoffnung, dass die beiden, wie sonst immer üblich, gleich nach der Ankunft aufs Smartphone blicken, ging diesmal leider nicht in Erfüllung.
Mit meinem Gastgeber unterhielt ich mich ausgiebig, er war interessiert an meiner Reise und ich an die Lebensumstände in Tadschikistan. Er kam ebenfalls aus der IT-Branche, was angesichts der Internet-Restriktionen nicht immer ganz einfach sei. Seine beiden Kinder studierten bereits im Ausland (China und Kasachstan) und so konnten deren Zimmer vermietet und die Einnahmen zur Finanzierung des Studiums hergenommen werden.
Nach etwa einer Stunde nach meiner Ankunft hörte ich auf der Hauptstraße das Motorengeräusch der BMW GS800 von Ralf. Leider war es nicht möglich, schnell genug an die Straße zu rennen, so hoffte ich darauf, dass die beiden meine Nachricht lesen. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass sie bereits in der Pamir-Lodge ein Zimmer reserviert hatten. Dies teilten Sie mir später per WhatsApp mit. Eine weitere Kontaktaufnahme sowie eine Recherche wo sich diese Pamir-Lodge befinden sollte, gelang mir nicht mehr. Somit war es fraglich, ob ich diese Unterkunft ohne weiteres in Khorog finden würde.
27. Mai 2019
Als ich die Küche zum Frühstücken betrat, erklang sofort ein gesungenes "Happy Birthday". Ja wie nett ist das denn? Das Geburtsdatum haben die beiden Gastgeber aus meinen Passdaten entnehmen können. Das üppige Frühstück war lecker und kaum zu bewältigen. Um 8:00Uhr war dann alles gepackt und ich machte mich auf die Suche nach meinen Freunden. Doch auch nach der dritten Fahrt entlang der Hauptstraße durch Khorog war nichts von einer Pamir-Lodge zu entdecken.
Weder die an der Straße zum Whakan postierten Polizisten noch andere Passanten konnten mir weiter helfen. Zwei deutsche Motorradreisende hätten sie heute noch nicht bemerkt. Also wartete ich direkt am Ende einer Brücke von der aus ein Abzweig in Richtung Whakan-Tal weiterführte, in der Hoffnung, dass die beiden hier lang kommen werden. Wenn sie nicht bereits unterwegs sind? Hmmm, das ist jetzt irgendwie dumm gelaufen mit meinem gestrigen Alleingang.
Nach wenigen Minuten, sprachen mich mehrere Passanten an >>akuda?<< - und ich konnte die Gegenfrage nach der Pamir-Lodge stellen. Zum Glück fand sich schließlich ein junger Typ, der den Weg dorthin beschreiben konnte. Nun aber Beeilung! Denn in der Regel sind die beiden um 9:00Uhr zur Abreise bereit und es war bereits kurz nach 9:00Uhr. Ein heißer Ritt über einen unbefestigten Weg und im Rollen weitere Passanten fragend, traf ich genau in der Sekunde vor der Hofeinfahrt zur Pamir-Lodge ein, als die beiden herausfahren wollten! Puhh! Mal wieder Glück gehabt!
Heute blieb ich brav und reihte mich schön als Letzter ein. Ich genoss es diesmal. Die Jungs vor mir suchten für mich die Ideallinie ohne Schlaglöcher und ich konnte den besonders beeindruckenden Kontrast genießen, der sich abwechselnd zwischen den kargen unwirtlichen Felsformationen und den immer wieder auftauchenden grünen Oasen auftat, hinter denen sich kleine Dörfer und Siedlungen im Schatten hoher Bäume versteckten. Dies galt für die tadschikische, als auch für die afghanischen Seite des Grenzflusses.
Die Straßenbeschaffenheit war wie gewohnt bescheiden, doch sie hielt eine neue Überraschung für uns parat! Lockerer und tiefer Sand! Für uns alle war dies eine neue Erfahrung und als ersten traf es Ralf. Nach einem ausgeprägten Vorderrad-Schlenker im Sand küsste er einen Dornenbusch. Klaus half sofort die schwere BMW wieder aufzustellen. Ich bemühte nur meine Kamera, aber leider etwas zu spät. Der Bock stand wieder. Außer ein paar Kratzer an Ralfs Arm war alles schmerzfrei und heil geblieben.
Im weichen Sand sucht sich das Vorderrad immer einen eigenen Weg. Je langsamer man fährt und je kräftiger man dagegen hält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei übersteuert und einen Abgang macht. Mit gemäßigt flotter Fahrt, ständig Druck auf dem Hinterrad und das Vorderrad aufschwimmen lassen ist wohl die beste Methode – so die Theorie. Mit zu hoher Geschwindigkeit kann man es im Sand allerdings auch übertreiben. So kam ich auf einer der nächsten Sandpisten kräftig ins Schlingern und nach einem krassen rechts - links - rechts Slalom, kippte mir die Maschine zur Seite und ich brachte sie, noch darauf sitzend, alleine nicht wieder in die Senkrechte. Ganz nebenbei bemerkt, befanden wir uns schon auf über 2500m und die dünner werdende Luft war bei jeder Anstrengung spürbar und wir japsten wie alte Männer nach einem 100m Sprint, wenn wir uns gegenseitig zur Hilfe eilten.
Auf dem Weg durch den Whakan folgten wir den Tipps der beiden Augsburger Dave und Jörg. Die beiden fuhren uns bereits einige Tage voraus und berichteten via WhatsApp von der Strecke. Am Hindukusch entlang sollten wir uns 2 Tage Zeit und etwa auf der Hälfte eine Unterkunft nehmen.
Als wir in dem kleinen Ort Yamg ankamen und Passanten nach einem Hostel fragten, schickten sie uns durch kleine Gassen immer höher in die Ortschaft mit Hanglage. Schlussendlich standen wir am oberen Ortsrand und mussten über eine Wiese mit Bachlauf bis zu einem kunstvoll gestaltetem Gebäude zurück rollen. Ich betrat die bunte Eingangstür zum Innenhof. Ein älterer Herr (knapp älter) stoppte seine Gartenarbeit und begrüßte uns freundlich mit gutem Englisch. Dies hier sei kein Hostel, sondern ein kulturhistorisches Museum und wir sollen doch wieder bis zum letzten Haus vor der Hauptstraße zurück rollen.
Aidar Malikmamadov, so sein Name, musste über Seitengassen nach unten gerannt sein, denn bevor wie unten ankamen, stand er bereits am Eck seines Homestay und öffnete uns die Hofeinfahrt. Er hatte mehrere Kinder und Enkelkinder, von denen einige mit speziellen Aufgaben um dem Haus herum beschäftigt waren. Der große Selbsversorger-Garten wurde bestellt, seine junge hübsche Enkelin wusch Wäsche in einer Schüssel in der Hofeinfahrt, eine seiner Töchter bereitete über einem offenen Holzofen das Abendessen vor, die andere wurde damit beauftragt unsere Zimmer herzurichten. Und irgendwie parkten wir mitten drin, im tadschikischen Familienleben. Meine Triumph stand gleich neben dem Holzofen mit unserem Abendessen, also quasi in der Outdoor-Küche.
Als es langsam kühler wurde und die Speisen fertig zubereitet waren, durften wir ins große, oder besser gesagt übergroße Wohnzimmer. Nun begann unser Gastgeber mit seiner Geschichte und wir hörten gebannt zu. Aidar erzählte wie sein Urgroßvater als Philosoph und Instrumentenbauer die eigene Sammlung in ein Museum umfunktionierte und dieses bereits in dritter Generation von der Familie fortgeführt wird. Lange berichtete er, warum der Islam im Whakan-Tal so liberal ausgelegt wird. Und dass er mit Reiseveranstaltern zusammen arbeitet und daher keine Werbung für sein Hostel machen muss und warum das ZDF bereits über ihn berichtet hat.
Die Reiseveranstalter führen Jeep-Touren durch den Pamir und Whakan durch. Die mit bis zu 25 Personen großen Reisegruppen bleiben oft für ein oder zwei Übernachtungen hier im Homestay und werden verpflegt. Daher auch das übergroße Wohnzimmer. Kinder und Jugendgruppen aus dem Umkreis unterhalten dann die Reisegruppen mit traditioneller Musik und Tänzen. Im Nachbarort gibt es die heißen Quellen von Bibi Fatima. So ergab es sich auch, dass vor 3 Jahren ein Filmteam des ZDF, während einer Reportage über den Pamir, bei Aidar zu Gast war und ein wesentlicher Teil der Dokumentation auch von seiner Geschichte erzählte.
Aber das Beste kommt jetzt: An dem Tag war ich ja immer noch ein Geburtstagskind und welch Zufall, Aidars Ehefrau ebenso! So kam ich noch am späten Abend zu einem Geburtstagskuchen, wir sangen uns gegenseitig ein Geburtstagsständchen und wir Männer hatten am Ende des Abends so ganz nebenbei eine kleine Flasche Vodka mit Luft gefüllt :-)
28. Mai 2019
Mein Kopfweh am nächsten Morgen führte ich auf die Höhenluft zurück und nicht an der Luft in der einen Flasche. Dank einer Ibuprofen war der Schmerz aber schnell unter Kontrolle. Von dem auf 2780m Höhe gelegenem Örtchen Yamg aus ging es nun in einer endlos scheinenden Fahrt ins über 160km entfernte Nest nach Alichur im Bezirk Berg-Badachschan. Die reine Fahrtzeit betrug über 6h und in Summe waren wir rund 8,5h unterwegs. Aber warum sollten wir nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von weniger als 20km/h erreicht haben? Richtig! Es war dem Gelände geschuldet. Eine extrem steile und enge Auffahrt führte uns alsbald vom Lauf des Panj hoch ins Pamirgebirge. Fast die gesamte erste Auffahrt war nur im 1. Gang zu machen und in den engen Kehren war ein sensibles Zusammenspiel von Kupplungs- und Gashand in Kombination mit einem guten Gleichgewichtssinn gefordert. Dann zog sich der Schotterweg auf langen Stücken dem Hang folgend immer höher und höher. Überwältigende Ausblicke und Felsformationen ließen uns wie Ameisen vorkommen.
Der höchste zu überquerende Pass an dem Tag lag auf 4350m. Es ging immer wieder mal auf verblockten Schotterwegen steil hinauf und dann wieder über rutschigem Geröll abwärts. Alle paar Kilometer und hinter jeder Felsdurchfahrt und Bergkuppe wechselte das Landschaftsbild. Mal breite, mit magerem Gras überzogenen Flächen, deren Wege oft mit Sand verweht waren und dann wieder Mondlandschaften, unglaublich bizarr und vom roten Fels in ein warmes Licht eingefärbt. Es war so ein Glück, dass wir während der gesamten Pamir-Überquerung vom schönsten Wetter mit tiefblauem, wolkenlosen Himmel begleitet wurden. Es kann auch rasch neblig und kalt werden und recht schnell anfangen zu schneien. Dann ist aber Schluss mit lustig.
Die schlimmsten Passagen sind allerdings die sich über viele Kilometer erstreckenden Wellblechpisten. Mensch und Maschine werden auf diesen Pisten geradezu gefoltert. Diese Wellen können so ausgeprägt sein, dass es mit dem Motorrad gar nicht möglich ist zu beschleunigen. Jede höhere Geschwindigkeit führt über dem Wellental zu einer kleinen Flugphase des Reifens und bei einer Beschleunigung erkennt die Elektronik, der Reifen dreht durch und regelt gleich wieder ab. Auch die Deaktivierung der Traktionskontrolle bringt keine Besserung. Das Gerüttel bremst die Maschine bis auf Schrittgeschwindigkeit herunter, ob man es will oder nicht. Alles am Motorrad gerät in Schwingungen, so dass man Angst um jedes Rahmenrohr und Anbauteil haben muss. Die Spiegel flattern wie Lämmerschwänze. Am äußersten Rand einer Fahrbahn gibt es manchmal Abschnitte, in denen dieses Waschbrett nicht so ausgeprägt ist, aber hier bewegt man sich oft dicht an einem Abgrund oder einer felsigen Böschung :-(
Die Sonne verneigte sich bereits merklich in Richtung Westen und wir befanden uns schon eine ganze Weile auf solch einer zermarternden Piste. Plötzlich tauchte ein schwarz-graues Band auf, dass sich von rechts kommend in einem großen Bogen vor unsere Rüttelpiste in den Weg legte. Sollte das tatsächlich eine geteerte Straße sein? Ich wollte es zunächst nicht glauben – so unverhofft! Ist das der Pamir-Highway M41? Ich ließ einen so lauten Freudenschrei los, dass den beiden über unseren Sprechfunk die Ohren weg flogen. Ralf schwang sich von seiner BMW und rannte auf die geteerte Straße, umarmte und küsste sie prompt. Es war für uns alle ein Freudenfest und eine große Erleichterung, es endlich geschafft zu haben. Die letzten 20km zum Ziel waren dann nur noch ein Klacks.
Wir haben alle diese Reise geplant um etwas zu erleben. Das wir dabei unsere Komfortzone verlassen müssen war uns klar. Und dennoch haben wir es an diesem Abend als unglaublichen Komfort empfunden, in einer Unterkunft bei kühlen Außentemperaturen auf rund 3200m Höhe, ohne Strom und fließendem Wasser und neben einem mit getrockneten Yack-Hinterlassenschaften aufgeheizten Ofen in klapprigen Betten schlafen zu dürfen. Allerdings gab es zuvor im Restaurant GoldenFish frittierten Fisch und wie sollte es anders sein (?) ein kühles Bierchen.
Ach ja - zum Thema Komfort. Wer hier Nachts pieseln musste, musste im Stockdunkeln durch 3 Schwingtüren die Steinhütte verlassen, in die kalte und sternenklare Nacht treten, möglichst rasch über den unbefestigten Hof ins unbeleuchtete Klohäuschen laufen und zielgenau über die Sickergrube treten und bitte nicht da hinein! Danach war man außer Atem, aber glücklich wieder zurück ins kuschelige Bettchen krabbeln zu können. Der Versuch, den Gang über den Hof zum Toilettenhäuschen einzusparen kann allerdings durchaus gefährlich werden, denn jede Bewegung und jedes Geräusch vor dem Steinhäuschen ruft die freilaufenden Wachhunde auf den Plan, deren Gebell sich dann schnell nähern. Ich hätte mir deswegen fast nur aus Angst bald in die Hose gemacht.
29. Mai 2019
Am Morgen sprach ich unseren jungen Gastgeber auf die Wachhunde an. Er erzählte mir dann, dass es in der Gegend viele Wölfe gibt, die im letzten Winter sogar zwei Männer überfallen und zerfleischt haben. Die Hunde hier nehmen es mit den Wölfen auf. Na Lecker!
Die ersten Sonnenstrahlen ließen die vereisten Pfützen auf der großen Weide vor unserem Schlaflager schmelzen. Diesmal lagen gemütliche 120km von Alichur bis Murgab vor uns. Hauptsache wir hatten heute Teer unter den Reifen und wenige Schlaglöcher. Der chinesische Fernverkehr war auf diesem Streckenabschnitt nicht mehr präsent. Daher begegneten uns auf der gesamten Strecke gerade mal eine Hand voll anderer Fahrzeuge. Trotz der vielen Fotostopps kamen wir diesmal am frühen Nachmittag in Murgab an. Ein bzw. zwei Zimmer mit Dusche und WC waren Pflicht. Mangels Auswahlmöglichkeiten entschieden wir uns für das beste und einzige Hotel vor Ort: dem Pamir-Hotel. Die restliche Zeit des Tages verbrachten wir mit Wäsche-, Motorrad- und Körperpflege. Und natürlich, wie sollte es anders sein (?) bei einem kühlen Bierchen.
30. Mai 2019
Kurz nach dem Aufwachen befiel mich nun doch ein respektvolles Gefühl vor der heutigen Etappe. Schließlich war noch der höchste Pass der ganzen Tour zu bezwingen. Da wir bisher immer mit irgend etwas überrascht wurden, war mir klar, dass es heute nicht anders sein sollte. Aber um es vorweg zu nehmen, diesmal war es nicht die anspruchsvolle Strecke, sondern mein Bauch. Nach wenigen Kilometern hinter Murgab spürte ich, dass sich da etwas zusammen braut. Sollte ich mal wieder etwas falsches gegessen haben? Die Gemüsesuppe oder das Omlett vom Vortag waren eigentlich weniger verdächtige Kandidaten. Das ölige Spiegelei zum Frühstück schon eher. Während der rütteligen Fahrt konnte ich Anfangs Luft und Festland noch gut trennen und erstere gefahrlos entweichen lassen. Aber als dann der lange Aufstieg zum 4655 Meter hohen Baital-Pass begann, wurde es kritisch. Klaus und Ralf hielten kurz vor einem steileren Anstieg an um Fotos zu schießen. Ich erkannte etwas oberhalb ein altes Gehöft mit verlassenen und verfallenen Stallungen. Eine geniale Deckung in dieser baumlosen Gegend. Meine Kollegen fuhren bereits weiter und ich brauchte ein Weile, bis es mir endlich wieder besser ging. Ist das schön! Endlich konnte ich wieder meine Umgebung genießen ohne in mich hinein horchen zu müssen. Dieser Stopp noch vor der Passhöhe war auch eine gute Entscheidung! Die riesige Freude als wir dann alle mit unseren Mopeds quasi auf dem Vordach der Welt standen, war ungetrübt! Ein tolles Gefühl!
Nach der unspektakulären Abfahrt vom Baital-Pass ging es über etliche Kilometer meist auf langen Gerade über eine Hochebene. Wir fuhren auf gutem Teer am großen Karakul-See vorbei und begegneten einer größeren Yackherde am Straßenrand. Hier sollte es auch ein Jurten-Camp geben in dem Ralf ursprünglich mal eine Übernachtung geplant hatte. Der Himmel war mittlerweile zunehmend bewölkt und es herrschten kühle Temperaturen. Wir wurden bereits Tage vorher von anderen Reisenden gewarnt, dass uns auf der nun folgenden Passhöhe mit Grenzübergang eine Schlammpiste erwarten würde. Diese war bereits für Fahrradreisende eine schier unüberwindliche Passage mit knietiefem Schlamm. Einheimische empfahlen möglichst früh am Morgen hier lang zu fahren, denn dann wäre der Schlamm noch gefroren. Wir hatten allerdings schon frühen Nachmittag, waren uns aber sicher, dass nach den letzten Tagen Sonnenschein der Schlamm eigentlich abgetrocknet sein müsste. Angesichts der aufziehenden Bewölkung und eventuell nachfolgendem Regen beschlossen wir gleich weiter zu fahren und den Grenzübertritt noch heute durchzuführen.
Der Karakul lag bereits hinter uns. Eine stetig an Höhe gewinnende lange Gerade führte uns wieder in bergige Regionen. Plötzlich rauschten von hinten 3 Hardenduros an uns vorbei. Das sind leichte, aber bullig starke, für den sportlichen Einsatz konstruierte Einzylinder-Motorräder mit max. 500ccm und ewig langen Federwegen. Ein kurzer Gruß und schon gewannen die Holländer laut bollernd auf ihren hohen Rössern Abstand. Geile Karren dachte ich mir so. Genau richtig für solch eine Tour. Und dann ging es wieder los. Erst rüttelte uns mal wieder ein Wellblech den Berg hinauf. Ich ließ mich weit zurückfallen um eine tolle Perspektive der Strecke digital einzufangen und meine Triumph so schonend wie möglich über das Wellblech zu steuern. Nach ein paar Serpentinen erkannte ich, hier war es vor kurzem noch richtig schlammig. Zahlreiche Spurrinnen zeugten vom verzweifelten Versuch die optimale Linie zu finden. Doch wir hatten Glück, die meisten Stellen waren bereits abgetrocknet und fest.
Nun fühlte sich die kleine Engländerin in ihrem Element. Ich drehte am Gashahn und holte Ralf und Klaus schnell wieder auf. Dann stoppten beide vor einer riesigen braunroten Schlammpfütze. Jipiiih, mit ordentlich Druck, aber nicht zu schnell, tauchte die Triumph als erste in die braune Brühe bis zur Radnabe ein. Jetzt bloß nicht langsamer werden! Gleich danach das nächste Schlammloch mitnehmen - Druck und durch. Einige Tage später erfuhr ich, dass sich in diesen Pfützen bereits einige Motorradfahrer abgelegt haben. Unter anderem auch ein Franzose mit seiner BMW GS1200, den ich später in Almati kennengelernt hab.
Nun stand ich vor dem Schlagbaum auf schlammigem, von zahlreichen kleinen Bächen zerfurchten Untergrund. Erste Passkontrolle. Die Soldaten die hier ihren Dienst schieben müssen, haben sicher schlimmes angestellt. Der Dreck hier oben in aller Einsamkeit kommt einem Straflager gleich. Der Schlagbaum öffnete sich. Hinter einer Biegung und einer weiteren großen Pfütze schloss ich nun auf die drei Holländer auf, die noch von der Einzel-Zollabfertigung aufgehalten wurden. Die Blicke der Holländer zollten mir Respekt und was mit der kleinen Engländerin alles so möglich ist. Als Ralf und Klaus nachkamen, begrüßten sie sich alle und erklärten mir, dass sie gemeinsam auf der Fähre von Italien nach Griechenland unterwegs waren. Wie klein ist doch die Welt!
Nach der letzten Abfertigung auf tadschikischer Seite gab es noch einen kurzen Anstieg zum Gipfel des 4250 m hohen Kyzyl-Art-Pass im Transalaigebirge. und danach, oha, wieder eine nette steile Schlammpiste mit Spurrillen und kleinen Bachläufen quer über den Weg! Ralf fuhr vor, als zweiter Klaus, der mit der großen Africa Twin am ehesten Probleme auf der steilen Piste bekommen würde, und ich hinterher. Doch alles ging gut. Nachdem wir wieder komplett trockene Straßenzustände hatten, fuhr ich erneut vor. Auf der Mitte einer längeren unbefestigten Geraden traf ich erneut auf unsere holländischen Freunde. Zu zweit knieten Sie auf einem Vorderrad und hebelten mit langen Montiereisen den störrische Reifen von der Felge. Das ist der 13. Plattfuß unserer Tour(!) ...erklärten sie mir mit gequält lächelndem Gesichtsausdruck.
Hatten wir mit unseren 0 Plattfüßen bisher einfach mehr Glück? Oder war dies unserer etwas verhalteneren Fahrweise geschuldet?!? Naja - noch sind wir nicht am Ziel!
Die Kirgisen behandelten ihre Grenzsoldaten deutlich besser und stellten Ihnen weit schönere und komfortablere Zollhäuschen auf. Die Einreise war nach weiterem Formularkram problemlos und bei den freundlichen Soldaten auch recht fröhlich. In der nächsten Ortschaft suchten wir uns dann eine Unterkunft und die war ebenso mal wieder bemerkenswert! In Kürze mehr - wenn es heißt Kirgisistan 31.05. - !