Montenegro - Teil1
Mittwoch, 20.März 2019
So erreichte ich nach wenigen Stunden die Grenze zu Montenegro. Der Grenzübertritt war unkompliziert, außer dass ich meine Unterlagen so weit unten in meinem vollgestopften Tankrucksack verstaut hatte, dass ein Abstellen des Motorrads und eine unter skeptischen Blicken der Grenzer längere Suchaktion begann. Aber alles gut.
Das nächste Etappenziel war die wunderschöne Bucht und die davon südlich gelegene Serpentine von Kotor. Diese Strecke ist mit 27 Kehren und einer überwältigenden Aussicht bis zum Mittelmeer eine echte Perle nicht nur für Kurvenliebhaber. So war es kaum verwunderlich, dass gleich in der zweiten Kehre der Serpentine ein weiterer Motorradfahrer mit seiner großen Canon-Kamera Fotos von der schönen Aussicht schoss. Sein Motorrad, eine Honda African Twin war noch bepackter als meines und die Dreckspuren zeugten davon, dass es sich hier nicht um eine Fahrt zur nächsten Eisdiele handeln konnte. Der Fahrer schaute auch gleich auf und grüßte freundlich. Ich hielt an und wir begannen gleich das typische Gespräch: "Where are you from? Where are you going?" "Israel" "Germany" "Mongolia" "Mongolia" - Bang! Und schon waren wir ein Team.
Elhanan ist mit seinem Motorrad seit März 2017 unterwegs und hat bereits ganz Afrika und Europa, vom Kap der guten Hoffnung bis zum Nordkap durchquert. Vom Nordkap ist er Ende 2018 noch zurück bis nach Budapest und hat dort über Winter sein Motorrad abgestellt. Fast zum gleichen Zeitpunkt sind wir gestartet - er von Budapest und ich von München, und selbst in Mostar waren wir zur gleichen Zeit ohne uns zu begegnen. Nun aber hier, an dieser schönen Stelle. Wenn das mal kein Zufall ist?!
In den folgenden 27 Serpentinen-Kurven hatten wir etliche Stopps eingelegt, für Fotoshootings und Smaltalks. Diese wurden mit jedem Male freundschaftlicher, so dass ich positiv auf eine gemeinsame Weiterfahrt eingestimmt wurde. Auch dass wir nun endlich mal Fotos bekommen, mit auf uns selbst gerichteter Perspektive, ist ein großer Vorteil beim Reisen zu zweit. Weitere Vorteile sollten später hinzukommen :-)
Am Abend bezogen wir ein gutes und preisgünstiges Hotel in Podgorica der Hauptstadt von Montenegro. Erst dachte ich, es sei eine mittlere Kleinstadt. Da aber Montenegro nur ca. 650.000 Einwohner hat, ist dies die größte Stadt in dem Land. Etwas erstaunt, dank meiner mangelhaften Vorbereitung, war ich, dass die Landeswährung ebenfalls der Euro ist. Häää? Montenegro ist doch nicht in der EU? Das wurde mir ein paar Tage später von einem netten Herrn der lange Zeit in Oberfranken, in der Nähe von Coburg gelebt hat erklärt: Obwohl Montenegro Ende der 90er Jahre noch offiziell zu Jugoslawien gehörte, hat sich Montenegro vom jugoslawischen Dinar aufgrund der Meinungsunterschiede mit dem damaligen Machtinhaber Slobodan Milosevic verabschiedet und im November 2000 die Deutsche Mark offiziell zur Landewährung erklärt. Mit der Einführung des Euros hat wohl die EU ein Auge zugedrückt und Montenegro dem gleichzeitigen Umtausch in Euro gestattet. Soviel dazu :-)
Ich hatte den Eindruck, dass Elhanan die Organisation des Reisens aufgrund seiner Erfahrungen und seiner Kontakte sehr leicht fällt. Ein paar kurze Telefonate und schon hat er gute Tipps parat. Dann erzählte er mir, dass er der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört und am nächsten Tag auf ein besonderes jüdisches Fest "Happy Purim" vom ersten Rabbi von Montenegro eingeladen wurde. An Purim feiern die Juden ein Ereignis, welches bereits über 2000 Jahre zurück liegt und mit dem Konflikt des jüdischen Volkes und dem persischen Reich zusammenhängt. Langsam bekomme ich mit, wie gut diese Gemeinschaft weltweit vernetzt ist und sich gegenseitig hilft.
Donnerstag, 21.März 2019
Für Elhanan stand heute zunächst ein Besuch und Interview beim Rabbi an, denn er (der Rabbi) wollte mehr über diese lange Reise erfahren. Das war für mich eine recht außergewöhnliche Begegnung mit einem besonderen Menschen. Für das Interview wurde ich gleich als (Smartphone)Kameramann engagiert. Die beiden unterhielten sich mal auf hebräisch, mal auf englisch und dann lud mich der Rabbi auf deutsch ebenfalls zum "Happy Purim" ein. Ich war gespannt was mich dort erwartet. Die äußerst warmherzige und sympathische Erscheinung dieses Mannes lies gutes erahnen.
Da das Fest erst nach Sonnenuntergang beginnt, starteten wir eine Erkundungstour mit unseren Motorrädern in der näheren Umgebung. Zunächst führte der Weg durch landwirtschaftliche Gebiete zu den Niagara-Wasserfällen - ja - die gibt es auch hier :-) Bevor man diese zu sehen bekam, musste man ein wunderschönes in eine Felswand integriertes Holzhaus passieren. Innen eine kleine Wassermühle mit künstlichem Wasserfall - als einladendes Ambiente für das im zweiten Raum gelegene riesige Restaurant welches sehr gemütlich aus Holz gezimmert ist. Ein freundlicher Herr begegnete uns und bot uns an, unsere Sachen neben seinem Schreibtisch abzulegen, da die Hitze in den Motorradklamotten so langsam die Schweißperlen aus allen Poren trieb.
Der Wasserfall wird von einem glasklaren Fluss genährt, der eine ähnliche Größe wie unser Eisbach in München hat (nicht der Schwabinger-Bach an der Liegewiese!) - als Niagara-Wasserfall benannt zieht er natürlich stets zahlreiche Touristen an, die alle mit freiem Blick zum Wasser von sich ein Selfie machen möchte. So kann es vorkommen, dass manch ältere Dame schon mal zickig wird, wenn so Rocker wie wir den Blick nicht freigeben. Aber unser Charme lässt denen dann doch ein Lächeln entlocken. :-) Und als Charmeur aufzutreten, darin ist Elhanan ein Spezialist, der kommt mit allen Menschen sofort in positiven Kontakt. Ein weiteres Bild mit einem netten Päärchen aus Italien zeugt davon.
So auch bei unserer Rückkehr in das Holzhaus/Restaurant wo unsere Sachen "bewacht" wurden und dass von niemand geringerem als vom Chef des gesamten Areals höchst persönlich. Mit Ihm standen wir dann noch Minuten lang zusammen und ließen uns die Geschichte der Niagara-Fälle und des Restaurants erzählen.
Als nächstes Stand der Besuch des Nationalpark Skutarisee an. Dies ist der größte Binnensee des gesamten Balkan und befindet sich zur Hälfte in Montenegro und zur Hälfte in Albanien. Wir steuerten zunächst den kürzesten Weg per GPS an, um zum Wasser zu gelangen. Dies war aber eine Sackgasse und rundum moderiges Sumpfgebiet. Beim Blick zurück entlang einer langen Geraden entdeckten wir einen Eselskarren aus einem Waldstück kommen. Wie schauten uns an und hatten den gleichen Gedanken - "Offroad" zum See. Eine spaßige Runde über Waldwege und Wiesen führte uns dann zu einem Bachlauf dem wir folgten. Aber nicht lang! Obwohl alles wie ein ganz normaler Waldweg aussah, blieb ich plötzlich im Morast stecken und hatte Mühe mein Motorrad noch im letzten Moment quer aus dem Morast zu steuern. Elhanan folgte mir und wie immer wenn er ein schönes Motiv sah, blieb er stehen und zückte seine Kamera um ein Foto zu schießen. Doch der Versuch misslang. Der Seitenständer der African-Twin versank in Nullzeit im Schlamm und seine 260kg lagen auf der Seite. Nun weiß ich auch, warum er morgens so viele Liegestütze macht. Wenn auch mit lautem F....-Gebrüll, stand die Maschine gleich wieder.
Also fuhren wir noch ca. 20km einer größeren Straße entlang, bis wir dann wirklich zum See und einem sehr schönen Ort gelangen, der natürlich touristisch aufgepeppt vielen Ausflüglern zahlreiche Bootstouren und kulinarisch Genüsse bot. Von hier aus gab es eine schmale Panoramastraße entlang des Sees mit zahlreichen Kurven und schönen Aussichten. Nach dem wir genug gesehen hatten, kehrten wir um und mussten nach einer engen Kurve für eine Wandergruppe bestehend aus 5 hübschen Mädchen und einem Hund abbremsen. Nun hatte unser Charmeur wieder einen Auftritt :-D Bla bla bla ... Bis dann herauskam dass die Gruppe per Anhalter von Freiburg aus gestartet ist - also deutsche Studentinnen. Nun wurde es wirklich eine nette Unterhaltung und zum Abschluss gab es ein schönes Erinnerungsfoto.
Der Tag ist noch nicht zu Ende! "Happy Purim" stand an. Was ist das? Als ich das Haus des Rabbi betrat, fühlte ich mich wie im falschen Film. Zahlreiche Gäste trugen Tiermasken wie aus dem Dschungelbuch oder waren komplett in den brasilianisch Nationalfarben und oder brasilianischen Trikots gekleidet. Zur Begrüßung gab der Rabbi jedem Neuankömmling zur Wahl einen Whiskey oder einen Wodka im Plastikbecher aus. Ich wählte zunächst den Whiskey - bin aber später auf Wodka umgestiegen. Die Kombi der beiden Getränke waren ja schon einmal ein Thema während dieser Reise :-D
Zu Essen gab es das brasilianische Nationalgericht Feijoada, zahlreiche Salate, Brot, Säfte und natürlich Alkohol. Dann - nach einem kurzen Gebet trug der Rabbi eine von einer langen Papyrus-Rolle vorgelesene Geschichte vor, halb sprechend halb als Gesang, die von den Ereignissen von vor 2000Jahren handelte - allerdings auf hebräisch - also fragt mich nicht! ;-) Im Anschluss wurde jedem Gast eine Tüte mit einem kleinen Geschenk überreicht, welches dann einem anderen Gast weitergereicht werden musste.
Nun stellte sich ein rechts smarter, gut aussehender Brasilianer vor, der in den Schulen der Umgebung Capoeira und Samba unterrichtet. Wer mich kennt, weiß dass ich die Szene bereits kennen gelernt habe ;-) Seine Aufgabe war es auch hier den zahlreich anwesenden Kindern diesen Tanz und die Musik beizubringen – Fantastisch! Alles andere, als das was ich hier erwartet habe. Aber warum Brasilien?!? Ganz einfach die Frau des Rabbis hat ihre Wurzeln in Brasilien! Da dies ein sehr fröhliches Fest der Juden ist, steht es frei, unter welchem Motto das Fest stattfindet. Als letzte Gäste aßen wir noch mit der ganzen Familie zusammen am Tisch und halfen beim Aufräumen. Ein bemerkenswerter Tag ging so zu Ende.
Freitag, 22.März 2019
Heute wollten wir erneut ein weiteres Highlight der Umgebung besichtigen - das orthodoxe Ort Kloster Ostrog. Dies ist ein Kloster und Wallfahrtsort aus dem 17. Jahrhundert welches durch ein Feuer zerstört und in den 1920er-Jahren wieder aufgebaut wurde. Ein sehr imposantes Kloster, hoch oben in den Bergen direkt im Fels eingelassen und sehr sprituell. Es wird von orthodoxe, katholische und muslimische Gläubige aus dem gesamten Balkanraum besucht und als das wichtigste Kloster erachtet. Elhanan bleibt das Betreten des Klosterbereiches aufgrund seines Glaubens verwährt.
Die Fahrt dort hin, war schon ein Genuss - aufgrund der schönen Bergstraße bei herrlichem Sonnenschein. Zurück hingegen ein Gedicht! Wir wählten eine andere Route, entlang einer ganz engen verrotteten Straße und von wunderschönen Weinbergen umgeben. Nur wenige Steinhäuschen säumten den Weg - und zwei Friedhöfe.
Kurz vor dem Tal passierte Elhanan vorausfahrend einen kleinen Bauernhof. Plötzlich sprangen 3 schwarze, wild bellende Hunde von der Böschung auf die Straße und verfolgten die Honda. Da ich knapp dahinter war, wäre ich sicher gebissen worden. Doch den den Hunden hab ich mal gezeigt, wie laut eine Britin brüllen kann, wenn man am Gashahn dreht. Ich bekam mich vor lachen nicht mehr ein, denn die Hunde kniffen mit einem Mal ihren Schwanz ein und stoben bei Seite, denn Sie wußten ja nicht welches 55PS-Monster hinter Ihnen her war. Das wird meine Strategie für die weitere Reise sein, Hunde mit den eigenen Waffen erschrecken, mit lautem Motoren-Gebell! (Sorry Geli!)
Im Tal selber entdeckten wir eine malerische Hängebrücke über einem türkis schimmernden Fluss. Optimal für ein Fotoshooting und Eröffnung der Badesaison 2019! Naja - die ältere Dame die gerade die Brücke überqueren wollte, als wir im Adamskostüm aus den eisigen Fluten stiegen, haben wir wohl ein wenig erschreckt. Zunächst machte sie auf dem Absatz kehrt und kam erst wieder als wir gerade mit unseren Motorrädern weiter fahren wollten. Natürlich hatte sie auch dann für uns ein Lächeln übrig.
Immer und immer wieder begegnen wir wundervollen Menschen mit offenen Ohren und Warmherzigkeit. Ich bin begeistert!
Samstag, 23.März 2019
Shabbat - und für mich Schreibetag! Morgen Früh geht es weiter in Richtung Berge, Nationalparks und dann nach Albanien.
Bis zum nächsten WiFi.
Euer Opa Jürgen Engel