05. Juni 2019
Nach einem kurzen Tankstopp und nach wenigen Kilometern erreichte ich die Grenze zu Kasachstan. Dies war nun bereits meine 3 Einreise in dieses Land und an der Grenze verlief alles reibungslos. Ein weißer, kasachischer Monster-4,8Liter-Lexus-SUV stand in der Schlange hinter mir. Als dann alle in der Schlange der Reihe nach an einem Schalter einen kleinen Zettel ausfüllen mussten, sprach mich der Fahrer, wie sein Auto ebenfalls eine imposante Erscheinung, auf deutsch an. Er erzählte mir, dass er in Kasachstan als Autohändler und Immobilienmakler arbeitet, allerdings in Bischkek und in Deutschland bei seiner Familie wohnt. Meine Frage: Wo in Deutschland? beantwortete er mit: Altenkirchen! Da musste ich mal wieder breit grinsen! Geht die Reise auch mal ohne solch komischer Zufälle weiter?! Denn Altenkirchen liegt in direkter Nachbarschaft zu Siegen, meiner alten Heimatstadt. Und dieser Umstand bot gleich die Gelegenheit für eine weitere Unterhaltung. Wir verabredeten uns nach der Grenzdurchfahrt gemeinsam auf einen Kaffee und kleinem Frühstück in einem der zahlreichen Straßencafés.
Mein Anliegen war zu diesem Zeitpunkt noch heraus zu finden, ob eine Paket-Lieferung aus Deutschland nach Almaty besser per UPS oder besser per DHL durchzuführen wäre. Das konnte mir Ismail nicht direkt beantworten, aber die Gegenfrage UPS? in Kasachstan? Nie was von gehört. Meine Vermutung war wohl richtig, dass mein Schatz mir die neuen Bremsbeläge mal vorsichtsahalber per DHL und Express nach Almaty zusenden soll. Mein neuer Freund Ismail gab mir aber vorsichtshalber eine Telefonnummer und bot mir jederzeit seine Hilfe an, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Einfach genial! Bei meinem russischem Sprachdefizit ;-)
Beim Vergleich unserer Fahrzeuge und Figuren hatte seine Einladung zum Frühstück einfach mehr Gewicht und so bedankte ich mich dafür und vor allem für sein Hilfsangebot. Irgendwie fielen mir in dem Moment die Worte meines Vaters ein: Es ist noch nie ein Engel verhungert!
Nach einer gemütlichen Fahrt durch eine leicht hügelige Landschaft und vor der Kulisse eines hohen schneebedeckten Gebirgszuges erreichte ich die pulsierende Stadt Almaty. Der Verkehr wurde schlagartig chaotisch. Die Wetterlage war gewittrig und die Mittagssonne entsprechend bissig. Alle Einfalls- und Durchgangsstraßen waren hoffnungslos verstopft. Diesmal war ich alleine unterwegs und musste somit auch keine Rücksicht nehmen. Ich besann mich kurz auf mein Verkehrstraining in Istanbul und schaltete auf den türkischen Fahrmodus um. In fast jedem Stau bieten sich Lücken durch die man sich nach vorne schlängeln kann. Der Kühlerventilator der Triumph gab alles um den Motor nicht überhitzen zu lassen.
Die vorher in meinem Navi eingegebene Koordinate der Motorradwerkstatt Freerider war schnell erreicht. Ich befand mich nun mitten in einem Wohngebiet. Von der Werkstatt war allerdings weit und breit nichts zu sehen. Hab ich mich doch verfahren? So etwas lässt mich trotz der Hitze mittlerweile völlig kalt. Eine hilfreiche Strategie in solch einem Fall ist, das Motorrad unter einem schattigen Baum abzustellen, Helm und Jacke ausziehen und suchend aufs Navi zu blicken. In der Regel wird man wenige Augenblicke später angesprochen und bekommt Hilfe angeboten. Was auch in diesem Fall hervorragend geklappt hat. Wenn der erste Passant nicht weiter weiß, dann fragt dieser den nächsten Passanten. Dies geht so weiter, bis sich jemand findet der englisch spricht, genügend Zeit hat und am besten noch ein modernes Smartphone hat. Die Hilfsbereitschaft ist wirklich beeindruckend.
Nach 10 Minuten wurde mit der Werkstatt Freerider telefoniert, die Adresse erfragt, eine Handskizze erstellt und die richtige Koordinate auf mein Handy übertragen. Dankend verabschiedete ich mich und alle umher stehenden Passanten grüßten mit einem Wink zurück. Es ging noch einmal zurück ins Verkehrsgetümmel und in ein anders Stadtviertel. Aber keine 15 Minuten später stand ich vor der Werkstatteinfahrt des Freerider und mein inneres Grinsen war wieder da!
Jeder Schrauber und jeder einheimische Kunde der durch diese Werkstatteinfahrt kommt wird per Handschlag begrüßt. Ein schwedisches Pärchen kam mit zwei chinesischen Enduro direkt aus der Mongolei, mit der Absicht einen Komplettservice durchführen zu lassen. Mehrere Einheimische und noch ein Spanier auf seinem großvolumigen Cruiser bevölkerten die Werkstattzufahrt. Dann bog noch ein japanischer Caféracer in die Werkstatteinfahrt ein. Darauf eine beachtlich hübsche Kasachin, der man ein solches Motorrad nicht zutraut, eher eine Rolle als Fotomodel. Sie verschwand zunächst im Verkaufsladen. Alle anwesenden zogen anerkennend die Augenbrauen hoch :-)
Während ich draußen mit einem Mechaniker mein Problem mit den Bremsen besprach, kam sie wieder heraus, drehte ganz geschickt mit Ihren langen Haxen das Motorrad in der engen Auffahrt und bevor sie den Starterknopf drücken konnte, nutze ich meine Chance. Für interessante Fotomotive riskiere ich gerne auch einmal einen Korb. Ich deutete auf meine kleine Sony und auf ihr Motorrad. Darauf hatte sie anscheinend nur gewartet. Das Mädel nickte zustimmend, positionierte sich gleich ganz wie ein Profi und flirtete mit meiner winzigen Kamera, als wäre ich ein Pirelli-Fotograf auf der Suche nach Motiven für die nächste Kalenderausgabe. Also doch ein Fotomodel! Jetzt fehlte bei Ihrer Abfahrt nur noch ein schwarzer Strich auf der Hofeinfahrt. Aber den Gefallen tat sie uns nicht.
Oben im großzügigem Ladengeschäft hatte Yana das Zepter in der Hand und sie schien auch die einzige Person zu sein, die fließend englisch spricht. Da wir bereits vorher Emails ausgetauscht hatten, kannte sie mein Problem und legte mir die in Frage kommenden Bremsbeläge originalverpackt vor. Ohne die Packung zu öffnen, wollte ich erst einmal meine Beläge ausbauen und die Passform genau überprüfen. Ich freute mich bereits und war mir sicher dass die Beläge passen. Doch dann die Enttäuschung!
Eine Seite der Päds war genau spiegelverkehrt ausgeführt. So ein Mist! Was nun? Diese Bremsbeläge sind zwar passend für das System, aber für Motorräder bei denen die Bremsscheibe auf der rechten Seite und nicht wie bei mir auf der linken Seite angebracht ist. Ist nun doch wieder nur eine Notlösung möglich? Oder muss ich jetzt warten, bis die Beläge in Deutschland abgeschickt wurden und hier eintreffen?
Das Freerider-Team erkannte meine Situation und nach einer Weile machten sich der Ladenchef und der Werkstattmeister auf die Suche nach passenden Belägen. Der Chef im Internet der Werkstattmeister durchwühlte Regale und Kartons. Und BÄNG - er wurde fündig! Der Werkstattmeister war ab sofort mein Held! Er freute sich mit mir die passenden Beläge gefunden zu haben und mein Bremsenproblem war endlich vom Tisch.
Ich belohnte anschließend meinen Erfolg mit einer leckeren Pizza in einem unweit gelegenen Restaurant. Der zum Freerider gehörende gemütliche Pub war leider an dem Tag wegen Krankheit der Wirts geschlossen. Zufrieden und satt bezog ich anschließend als einziger Gast mein 6-Bett-Hostelzimmer des Freerider.
Das Hostel ist zwischen Laden und Werkstatt eingerichtet. Die Doppelstock-Betten sind aus dem gleichen massiven und auf alt getrimmten Holz gezimmert, wie es auch in der Ladeneinrichtung und auch im Pub zu finden ist. Die getrennte Dusche und WC sind einfach aber sauber.
Nach Feierabend werden die Zugangstüren zur Werkstatt und zum Laden abgesperrt und man betritt das Hostel nur noch über eine eiserne Terrassentür. Für umgerechnet rund 6 Dollar die Nacht buchte ich meinen Schlafplatz gleich für 2 Nächte. Müde schrieb ich noch ein paar Zeilen für meinem Blog bis meine Augen zufielen.
06. Juni 2019
Der erfolgreiche Vortag veranlasste mich noch zu einem Ölwechsel im Freerider. Bei der Demontage meines Unterfahrschutzes der Marke Eigenbau half mir einer der Mechaniker. Das geschah wortlos aber eingespielt wie ein altes Team. Ruck zuck waren 3,25 Liter neues rötlich und klar schimmerndes 10W40 eingefüllt. Allerdings noch ohne Ölfilter. Der wird in der Mongolei oder erst in Novosibirsk erneuert.
Es war kurz vor Mittag. In kurzen Zeitabständen trafen immer mehr Biker im Freerider ein. Erst der Franzose, den ich bei einer Mittagspause an einem Falaffelstand in Kirgisistan traf und dann kamen Jauke aus Holland auf einer ganz normalen Suzuki-Straßenmaschine, Pedro aus Spanien auf einer KTM und Claudio aus Italien auf einer günstig erstandenen Honda-XL500. Alle waren ebenfalls entweder aus der Mongolei kommend oder auf dem Weg dort hin. Die drei zu letzt genannten zogen dann auch ins Hostel ein, und somit war es vorbei mit meiner Einsamkeit. Jeder hatte relative Kleinigkeiten an den Motorrädern zu erledigen und die rund halben dutzend Freerider-Mechaniker taten ihr Bestes um alle zeitnah zufrieden zu stellen.
Da ich als erster Reisender im Freerider von der gerade erst eingetroffenen internationalen Truppe als Auskunftsgeber auserkoren wurde und natürlich bereitwillig Auskunft gab bzw. zu den einzelnen Mitarbeitern vermittelte, wurde hatte Yana plötzlich die Idee mit mir ein Interview durchzuführen. Kurze Zeit später war wieder ein Instagram-Beitrag eines Motorradhändlers im Netz, bei dem ich beteiligt war. Diesmal nicht nur Fotos, wie vom Triumph-Händler in Istanbul, sondern mit einem kleinen Video. Aus Überzeugung lobte ich darin die Leistung vom Freerider-Team.
Mit reichlich Erfahrungsaustausch zwischen den internationalen Gästen und bei einem gewittrigen Wolkenbruch ging der Tag im Freerider-Pub und im Hostel gemütlich zu Ende.
07. Juni 2019
Am nächsten Morgen verließ ich den Freerider. Von Almaty zum nördlich gelegenen See Qapschaghai Bögery brauchte ich kaum 2 Stunden. Am See versuchte ich in Ufernähe einen einsamen Zeltplatz zu finden. Aber das war hoffnungslos. Entweder überall abgesperrte Grundstücke oder Schilf mit Millionen Moskitos. Erst Mittags landete ich in einem kleinen Dorf direkt am See. Es sah im ersten Moment recht gemütlich aus. Kleine Bars und Geschäfte säumten die Uferpromenade hinter dem sich auch ein richtiger Sandstrand befand. Aber außer ein paar arbeitsamen Einheimischen war kein einziger Gast zu sehen. Ein bisschen hatte die Promenade was von einer Partymeile.
Der einzige Stand, an dem bereits etwas Essbares zu kaufen gab, war gleichzeitig der Eingang zu einer Karaoke-Strandbar. Dort ließ ich mich zu einer im Lehmofen frisch gebackenen Teigtasche überreden und setzte mich auf eine der Bänke. Kurze Zeit später machte es in den fetten Boxen laut knack - knack und ein junges Mädel begann in einer unerträglichen Lautstärke einheimische Schlager zu trällern. Meine mit Ziegenfettarsch und Zwiebeln (!) gefüllte Teigtasche platzte bei jedem Bissen seitlich auf und der Inhalt lief heiß und fettig über meine Hände. Es war alles andere als ein Genuss!
Schließlich fasste ich den Entschluss doch noch weiter zu fahren um die singenden Düne im Altyn-Emel-Nationalpark zu finden. Leider mangelt es hier in Kasachstan an deutlicher und lesbarer Ausschilderung von Sehenswürdigkeiten. Und ohne Internet und somit der Möglichkeit diese Düne mit Hilfe von Google zu finden, war auch dieses Vorhaben am späten Nachmittag gescheitert. Ich kehrte um und fuhr wieder zurück zu dem kleinen Ort am See.
Am Ende standen 300km mehr auf meinem Tacho. Die Partymeile war immer noch ohne Partygäste. Ich erkundigte mich nach einer Campingmöglichkeit. Leider geriet ich ausgerechnet an die Jungs, die das schäbigste Gästehaus verwalteten, dass ich seit langem gesehen hab. Ich folgte Ihnen in den Innenhof eines Restaurants. Nachdem die klemmende Türe endlich geöffnet war, schien das kleine Räumchen ganz in Ordnung. Doch es war ein Fehler nicht erst einmal komplett durch den Ort zu fahren und schauen was es für Alternativen gibt. Auch sollte man sich immer vorher die Dusche und WC zeigen zu lassen. Sind Fliegengitter vorm Fenster ist es ein Zeichen dafür, dass der Gastgeber auch gästeorientiert ist. Wenn dann noch ein Frühstück ausdrücklich im Preis inbegriffen ist, kann der Preis verhandelt werden. All diese Punkte lies ich außer acht und nahm das viel zu teure Angebot mit umgerechnet 15 Euro/Nacht an.
Doch dann kam die Ernüchterung. Die Dusche war über einen unbefestigten Innenhof in 50m Entfernung erreichbar. Sie bestand aus einer offenen Box, die aus Holzbrettern zusammen genagelt wurde. Als Duschabtrennung diente ein alter seidener Vorhang der erst wenn er nass war, nicht in alle Richtungen davon wehte sondern sich seidig, nasskalt und eklig versuchte an die eigenen Haut anzuheften. Über der Box befand sich ein Wasserfass. Dessen kalter Inhalt ungeklärten Ursprungs ergoss sich über eine Plastikbrause mit 5 Strahlen über mein Haupt. Es war mir in dem Moment egal, ich blendete alles aus, Hauptsache ich fühlte mich halbwegs wieder frisch.
Eine echte Fehlkonstruktion war allerdings das Plumpsklo. Ein kurzer Anblick genügte und ich wusste, so kann das nicht funktionieren. Ich hab es auch nie getestet bzw. testen müssen ;-)
08. Juni 2019
Nach einem Frühstück mit schlechtem Instantkaffee, trockenem Weißbrot und Manty, einer Suppe mit gefüllten Teigtaschen, wollten die Jungs auch noch extra Geld fürs Frühstück haben. Ich glaube meine deutlich hochgezogen Augenbraue und schiefe Kopfhaltung mit Fingerzeig zum unangetasteten Frühstück war überzeugend genug. Die Füllung der Teigtaschen kann aus gutem Fleisch bestehen, dann lässt sich Manty ab der Mittagszeit gut essen. Meistens besteht die Füllung aber aus Ziegenfettarsch (so haben wir es in einer lustigen Runde mal getauft) und ich bekam bei jedem mal probieren Magengrummeln und mehr davon. Kein Zweifel, dass diese Mantys der 2. Kategorie zuzuordnen waren.
Enttäuscht von der versuchten Abzocke in dem kleinen Nest am Ufer des Qapshagay Bögery, beschloss ich nun schnell weiter zu fahren. Beim Packen nervten dann noch zwei völlig außer Rand und Band geratene Brüder, die so zwischen 8 und 10 Jahre alt waren. Sie verwechselten meine Ortlieb-Packsäcke mit Boxsäcken und boxten stets wie in einem Trainingslager darauf herum. Am liebsten hätte ich die beiden am Baum gefesselt. Doch der Vater saß rauchend nebenan auf einer Bank und schaute seelenruhig zu, wie die Nervensägen mich vom Packen abhielten. Zu allem Übel kam dann noch eine Gewitterfront auf mich zu. Bevor ich mich zu Gewalttaten hab hinreisen lassen, trat ich die Flucht an. Ich raffte alles nur provisorisch zusammen, ohne es wirklich korrekt zu verzurren. Hauptsache ich kam hier schnell weg.
Erst am Dorfrand hielt ich wieder an, um alles ordentlich und sicher festzuschnallen. Und schon vielen die ersten Regentropfen. Also nochmals Packsack öffnen und Regenjacke raus holen. Nach einer gefühlten Ewigkeit bog die kleine Engländerin endlich auf die Schnellstraße in Richtung Nord-Osten ab. Mit Blick auf meine Tankanzeige und einer schnellen Hochrechnung war mir klar, damit komme ich nicht bis zur nächsten Tankstelle. Es waren rund 80km zu fahren und angezeigt wurden gerade mal noch 60km Reichweite.
Aus der Schnellstraße wurde nun ein Schleichweg. Mit verhalten geöffnetem Gashahn rollte die Triumph gerade mal 70km/h dahin. Eine Flucht vor der Gewitterfront war somit nicht mehr möglich und es fing fest an zu regnen. Zu allem Übel begann ein langgezogener Aufstieg zu einer kleinen Passhöhe. Meine neue Hochrechnung ergab, mit einem zusätzlichem Liter Benzin aus meinem kleinen Reservekanister könnte es eventuell noch klappen. Auf der Passhöhe, unter dem Dach einer Bushaltestelle, füllte ich den zusätzlichen Liter ein. Im Windschatten und in der Gicht eines LKWs erreichte ich dann endlich platternass die rettende Tankstelle. Meine Laune war dennoch gut. Eine Gruppe Deutscher und Österreicher, die einer geführten SUV-Karavane angehörten, zollten mir ihren Respekt und wünschten eine weiterhin gut Reise.
Nach weiteren rund 100km kam ich in einer Stadt mit dem Namen Taldy Kurgan an. Sicher hat kaum jemand bisher was von dieser Stadt gehört?! Taldy Kurgan in Kasachstan! Es war erst früher Nachmittag als die kleine Engländerin hier einrollte. Meine Kondition hätte auch noch für weitere 100km ausgereicht, der Sprit auch. Überwältigt von der Stadt, der modernen Architektur im Wechsel mit dem maroden Charme alter Sowjet-Bauten, dem riesigen Fahnenmast mit der kasachischen Flagge, den freundlichen und hilfsbereiten Menschen, zog ich es vor an diesem Ort eine Unterkunft zu suchen. Es gab ja noch keinen Zeitdruck, da die anderen beiden Motorradfahrer eine Tagesetappe hinter mir waren und sie zwangsweise auch durch Taldy Kurgan mussten.
An jeder roten Ampel wurde ich angesprochen, woher ich komme und ob ich Hilfe brauche. Das Übliche halt. Zwei Heißsporne verstanden auch, dass ich eine Unterkunft suche und rasten mit einem aufgemotzten Toyota vorne weg, ich hinterher. Zum Glück nur 2 Kreuzungen weiter, dann deutete der Fahrer nach links in Richtung eines Häuserblocks. Mein Problem war allerdings das Entziffern der kyrillischen Schrift. Was ist ein Hostel, Hotel oder Gasthaus? So wird das nichts! ich brauche den Zugang zum Internet. In einem Café mit modernem Erscheinungsbild, bekam ich zwar ein lecker Omelett und Cappuccino, aber das WiFi funktionierte hier leider auch nicht.
Es liegt anscheinend in den Genen der Menschen hier, sich hilfsbereit zu zeigen und sich für Fremde zu interessieren. So bekam ich von meiner männlichen Bedienung und von seiner Chefin Unterstützung via Privathandy, bis wir ein passendes Hostel gefunden hatten. Damit aber nicht genug. Die Chefin rief dort auch gleich an und lies ein Zimmer für mich reservieren. Die Koordinaten waren schnell auf mein Handy übertragen und ich machte mich auf den Weg.
Genau an der Straßenkreuzung wo sich das Hostel hätte befinden sollen, waren nur Restaurants mit großen Außenterrassen zu finden. Also stand ich mal wieder ratlos neben meinem Motorrad und schaute auf mein GPS. Nur wenige Augenblicke später und schon hielt ein älterer Landrover neben mir mit einem netten Typen und seiner kleinen Familie auf dem Rücksitz. Offensichtlich ein Offroad-Liebhaber, das Auto war voller Schlammspritzer und auf dem Rücksitz saß seine junge hübsche Frau mit ihrem kleinen Nachwuchs auf dem Arm.
Er versuchte kurz über sein eigenes Handy etwas herauszufinden, wechselte ein paar Worte mit seiner Frau und bot mir an, doch mit zu ihnen zu kommen, ich könne dort übernachten. Ich bin auf einer Abenteuerreise und Abenteuer beginnen immer dann, wenn man Dinge geschehen lässt. Also stimmte ich zu und folgte dem Landrover bis an den Stadtrand zu einer Wohnblock-Siedlung. Das war mir dann doch zu heikel und lehnte mangels eines sicheren Parkplatz für mein Motorrad dankend ab. Die beiden hatten natürlich Verständnis für meine Entscheidung. Außerdem brauchte ich einfach mal Ruhe.
Im zweiten Anlauf war das Hostel Welcome dann doch schnell gefunden. Für nur 6 Euro pro Nacht bekam ich das beste Hostel überhaupt. Ein einziger Gast bewohnte das 4er-Zimmer. Wie sich Abends herausstellte ein junger Kasache etwa Mitte 20, der in der Stadt als Bedienung arbeitet. Die sanitären Anlagen, die Küche und die Schlafräume waren alle 1A neu und sehr wertig ausgestattet. Ich fühlte mich pudelwohl und arbeitete die ganze Zeit an Webseiten und an meinem Blog.
09. Juni 2019
Auch am heutigen Tag verließ ich mein Zimmer nur wenn es unbedingt sein musste und schrieb und schrieb und schrieb, alle meine Erinnerungen nieder. Erst Abends trieb mich mein Hunger aus dem Hostel ins benachbarte Restaurant. Es war Wochenende und zahlreiche Familien saßen auf der überdachten Terrasse und lauschten einer 4köpfigen Combo die bekannte und traditionelle Musik sehr professionell wiedergaben. Die Stimmung gefiel mir und ich ließ mir mein frisch gezapftes und meine Snacks schmecken.
10. Juni 2019. und 11. Juni 2019
Gegen Mittag trafen noch die zwei Motorradfahrer ein mit denen ich die Pamirüberquerung meisterte und von denen ich mich in Bischkek getrennt hatte. Sie freuten sich ebenfalls darüber, dass mein Bremsenproblem endlich behoben war.
Das gemeinsame Essen im benachbarten Pub Portofino war recht nett, so auch der Besuch des Basars am nächsten Tag. Wir fanden zahlreiche schöne Fotomotive, aber auch für unser Empfinden abschreckendes - so z.B. wenn abgeschlagene Rinderköpfe auf Schubkarren durch die Gassen gefahren wurden.
Um mich etwas unabhängiger von lokalen WiFi-Netzen zu machen, suchte ich nach einen mobilen WiFi-Router. Aber leider ohne Erfolg. Der einzige Router war SIM-Looked und nur auf einen lokalen Anbieter festgelegt.
Wieder zurück im Hostel, schrieb mir meine Frau, dass sie meine Webseite nicht aufrufen konnte. Das wird sich wieder geben, dachte ich mir so. Doch später am Abend überprüfte ich die Webseite, bzw. alle wichtigen Webseiten auf dem Webserver erneut. Ohhh ha! Der Webserver ist nicht mehr erreichbar! Hilfe was ist das denn jetzt?! Noch am Abend schrieb ich dem Unternehmen in München, bei dem mein Webserver angemietet war und schilderte das Problem. Online fand ich nur heraus, dass ein wichtiges Software-Update auf dem Server eingespielt wurde. Die nun folgende Nacht wurde kurz. Bis weit nach 24:00Uhr versuchte ich eine Ursache und eine Lösung zu finden. Meine größte Befürchtung war, dass sich ein bereits einmal aufgetretener Script-Fehler wiederholt hat und dadurch der gesamte Serverinhalt gelöscht wurde. Wieder stand alles auf dem Spiel. Wenn sich diese Befürchtung bewahrheiten würde, dann müsste ich zumindest für 1 - 2 Wochen die Reise unterbrechen und nach Hause fliegen um alle Daten wieder aufzuspielen.
12. Juni 2019
Kruzefix no amoi! Es war 5:00 Uhr in der Früh und ich konnte mich einfach nicht auf meinen Server einloggen um die Daten zu überprüfen. Der Support in München war erst ab 8:00Uhr deutscher Zeit wieder erreichbar. Nach hiesiger Zeitrechnung bedeutete es also bis 12Uhr auf eine Antwort zu warten.
Mein Freund Matthew kann mich hoffentlich aus dieser Situation retten - oder zumindest unterstützen. Er hat meistens eine Lösung parat. Doch für ihn wäre mein Hilferuf ganz sicher auch ein Weckruf und mitten in der Nacht. Tut mir ja Leid, Matt! Ich sendete ihm mein Problem per WhatsApp >>Hi Matt, srv2 is down! i am in panic!<< - mehrere WhatsApp folgten, um das Problem genau zu umschreiben. Kurze Zeit später kam eine Antwort: >>Moment - i waked up!<< Dann folgten wie zu erwarten, der Austausch etlicher Nachrichten. Matt führte auch später ein Telefonat mit dem Support. Doch der meldete nur zurück, dass keine technischen Probleme festzustellen sind :-( Doch mein Problem war damit nicht vom Tisch. Ich teilte noch mit, dass ein externes Verwaltungstool verwendet wird. Da wir hier auf eine Cloudlösung gesetzt haben und der Support in Malaysia sitzt, sich aber bereits mehrfach als blitzschnell und gut herausgestellt hat, hatte ich Hoffnung bald eine Lösung zu bekommen.
Es war ca. 13:00Uhr kasachischer Zeit, als alle Webseiten wieder online waren. Mir viel ein riesiger Stein vom Herzen. Ursache war lediglich, dass nach dem Softwareupdate ein Prozess des Verwaltungstools neu gestartet werden musste. Kleine Ursachen - große Wirkung! Ich gönnte mir zur Feier des Tages einen richtig dicken Hamburger!
13. Juni 2019
Endlich konnten wir weiter fahren. Wir starteten morgens um 9:00Uhr, allerdings im Regen. Bis Taldy Kurgan gab es noch perfekte Straßen, aber nach wenigen Kilometern, ab dem nördlich gelegenen Flughafen, zeigte sich die Straße mal wieder in einem schlimmen Zustand. Doch die Kasachen arbeiten daran. Auf mehr als 200km, sind wir entlang einer riesigen Baustelle gefahren. Diese neue Straße wird wohl eine Weiterführung der bisher schon befahrenen sehr guten 4-Spurigen Autobahn. Doch die Baustelle und die zahlreichen Umleitungen auf die alte Trasse erforderte unsere volle Konzentration. Notdürftig geteerte Wege mit unendlich vielen Schlaglöchern oder tiefe quer über der gesamte Fahrbahnbreite verlaufende Mulden, die so groß sind, dass ein Motorradreifen oder LKW-Reifen vom Raddurchmesser genau hinein passte, quälten uns durch heftige Schläge ins Fahrwerk und ins Kreuz. Die Räder sanken bis zu 15cm ab und schnellten gleich wieder aus diesen Mulden und Querrinnen empor. Nur stehend konnte man seinen Rücken schonen, was bei den Distanzen allerdings sehr anstrengend war. Unser Honda-Fahrer litt ohnehin schon an Rückenschmerzen.
Entsprechend Müde kamen wir in Kalbatay an. Gleich am Beginn des Ortes wies ein großes Schild auf ein Gasthaus hin und das Angebot nahmen wir im strömenden Regen dankend an. Ein weiterer Motorradfahrer, Ben aus Kanada und später noch der Argentinier Martin, der in NewYork lebt und von Madrid aus mit einer nagelneuen KTM gestartet war, traf ebenfalls im Gasthaus ein. So kam eine nette Abendrunde zusammen und es wurde über alles mögliche, auch über politische Themen diskutiert. Aber wie klein die Welt der Reisenden ist, zeigte sich an dem Beispiel, als Martin uns ein Handyvideo einer krassen Wasserdurchfahrt in Tadschikistan zeigte. Hier sah man einen Motorradfahrer, der von 4 weiteren durch den reißenden Strom geleitet wurde. Irgendwie kam uns die Maschine bekannt vor. Was ist das für ein Motorrad (?) stellten wir Martin die Frage. Eine Royal-Enfield, war seine Antwort. Wie aus der Pistole geschossen kam dann von uns: Caaaarllloooo! Das ist Carlo! Carlo ist every where! Traurig war nur, dass Carlo genau bei dieser Aktion sein hinteres Federbein zerstörte und das gesamte Dämpferöl dabei auslief. Es hat ihn um Tage zurückgeworfen, aber mittlerweile ist er fast an seinem Ziel in Indien und Butan (Stand 14.07).
14. Juni 2019
Die heutige Etappe war die Fortsetzung des gestrigen Tages. Doch das Wetter zeigte sich diesmal von seiner besten Seite. Strahlend blauer Himmel und fast kein Wind. Auch die Temperaturen waren wie geschaffen für eine Motorradfahrt durch eine Steppenlandschaft - statt unerbärmlichen 45Grad nur maximal 28Grad - das nenne ich optimal! Ich wäre am liebsten schon um 7:00Uhr gestartet. Doch das angebliche Frühstück im Gästehaus lies erst lange auf sich warten und war dann auch noch ungenießbar - Manty (mit Fett und Fleisch gefüllte Nudeln in klarer Brühe)- das scheint hier normal zu sein. Mit unbefriedigtem Frühstückshunger fuhren wir endlich los.
Die Größe des Landes fasziniert immer wieder. Man fährt über ein kleine Anhöhe von etwa 50m Höhe und sieht in einer geraden Linie in 25km Entfernung seinen eigenen Weg wie er am Horizont im Nichts verschwindet. Und das geschieht auf dieser Strecke nicht nur einmal, das geschieht von Anhöhe zu Anhöhe oder Horizont zu Horizont. Man blickt quasi in seine eigene Zukunft.
Nach 270km ziemlich holpriger Straßen war die kleine Garnisonsstadt Ayagöz erreicht. Es dauerte allerdings eine Weile, bis ein Hotel ausfindig gemacht werden konnte. In dem bevorzugten Hotel sollte am Abend eine Hochzeit stattfinden, so lehnte die Hoteldirektion eine Unterbringung staubiger Motorradfahrer ab. Doch einer der Bediensteten stieg in sein Auto und brachte uns zu einer Alternative etwas abseits und in einer Seitenstraße. Alles etwas runtergekommen und seltsam hier. Aber für eine Nacht und mit einem guten Restaurant gleich auf der anderen Straßenseite waren auch die stets fleischhungrigen Kollegen zufrieden zu stellen.
Nach dem Essen ging es mal wieder recht früh aufs Zimmer, es mussten schließlich die Daheimgebliebenen über alles unterrichtet werden. Es gab ja wieder einiges zu Posten und Hochzuladen.
15. Juni 2019
Das Frühstück war eine Lachnummer. Aufgewärmte Nudelsuppe mit Ziegenfleischfüllung und klumpiger ungenießbarer Kaffee. Keiner rührte diesen Fraß an. Dann sollten wir auch noch dafür zahlen. Netter Versuch! Aber nicht mit uns.
Nun fuhren wir ein letztes Mal durch die Steppe Kasachstans und ein letztes Mal über diese Bandscheiben killenden Querrillen und Schlaglöcher. Etwa 140km vor unserem nächsten Ziel tankten wir noch einmal, streckten unser Kreuz und bogen dann zu unser aller Freude auf eine perfekte 4-spurige Fernstraße - welch eine Entlastung für unsere Rücken. Doch nach einer Stunde wich die Freude bereits der Langeweile. Es gab ja nichts mehr zu tun, außer zu fahren ;-)
Etwas mit Eile kamen wir in der Industriestadt Semei an, die bis 2007 noch unter dem Namen Semipalatinsk bekannt war und aufgrund der unweit von hier stattgefundenen sowjetischen Atomtests strahlende Berühmtheit erlangte. Dunkle Wolken zogen auf. Doch das Hotel Europa war nicht so leicht zu finden, obwohl eine Passantin uns gleich zu Anfang der Suche verriet, dass sich dieses Hotel gleich neben der medizinischen Universität befindet. Doch diese Information fand bei unserem Navigator keine Beachtung. Etwas umständlich kamen wir schließlich erst im strömenden Regen am Hotel an.
Ich freute mich umso mehr, als ich die KTM 690 von Martin aus Argentinien im Innenhof des Hotels entdeckte. Ein Zufall, dass er sich ein Tag zuvor das gleiche Hotel ausgesucht hatte. Schließlich war dies nicht das einzige Hotel der großen Stadt. Über WhatsApp sendete ich gleich eine Nachricht und wir trafen uns Abends gegenüber vom Hotel in einem hübschen Lokal. Es gab gute Musik und zahlreiche fröhlich feiernde Kasachen. Ein netter Abend war das mit Martin.
16. Juni 2019
Martin zog leider schon weiter in Richtung Oasis, ich wäre am liebsten gleich mitgefahren, doch ich musste noch 3 Tage bis zum 19.06. aushalten, denn erst ab dann war mein Russland-Visum gültig. So suchte ich für die nächsten 2 Tage nach etwas Beschäftigung, damit die Wartezeit schneller vorüber ging. Mein Laptop war mittlerweile zu 95% randvoll mit Bild- und Filmmaterial. Also war für heute digitales Aufräumen angesagt. Auch für den Folgetag hatte ich bereits eine Idee...
17. Juni 2019
Seit meinem Rahmenbruch und dem anschließend neuem Packsystem mit reduziertem Gepäck, gab es immer die Schwierigkeit, dass meine Ortliebtaschen und der Schlafsack bei den schlechten Straßen zur Seite verrutschten und sich los vibrierten. Bereits zweimal musste ich meine verloren gegangene Gepäckstücke von der Straße aufsammeln. Dem wollte ich nun ein Ende bereiten und machte mich in Semei auf die Suche nach einer größeren Sporttasche. Nicht besonders stilecht und passend zur Triumph, fand ich eine blaue ADIDAS-Sporttasche mit der idealen Größe. Es war weit praktischer alle wasserdichten Packsäcke dort hineinzulegen und nur die große Tasche zu verzurren. Mal schauen wie lange die Reißverschlüsse bei dem vielen Staub, Dreck und manchmal Regen standhalten können.
Gleich gegenüber vom Hotel ergab sich die Gelegenheit der kleinen Engländerin ein wenig Wellness angedeihen zu lassen. So spendierte ich Ihr in der gegenüberliegenden CarWash-Anlage eine Schaumwäsche. Es geht nicht immer darum, ein sauberes Motorrad zu haben, sondern einen freien Blick auf die Details des Motorrads zu bekommen. Nur dadurch entdeckte ich zwei lose und eine fehlende Schraube am Spritzschutz über dem Hinterrad. Zum Glück hatte ich eine passende Schraube als Ersatzteil mit und konnte alles wieder befestigen.
Matthias und Natalie kündigten sich für den Nachmittag an. Endlich etwas Abwechslung. Sie waren ebenfalls auf dem Weg nach Semei und zum Hotel Europa. Just in dem Moment als ich in dem gegenüber liegendem Restaurant etwas zu Essen bestellen wollte, trafen sie ein. Wir genossen gemeinsam die überraschend leckeren Pizzas des Hauses. Das Rezept stammt von einem italienischen Pizzabäcker, wurde aber von einem deutschen Professor der Medizin überbracht, der die medizinische Fakultät in Semei regelmäßig besucht und hier Stammgast ist. Seit dem gilt das Restaurant als Geheimtipp.
18. Juni 2019
Für diesen Tag stand endlich etwas Abwechslung an. Zusammen mit Natalie und Matthias besuchten wir eine verlassene Siedlung und das Flugfeld rund 80km westlich von Semipalatinsk. In dem Bewusstsein warum diese Siedlung verlassen wurde und warum die Häuser solch massive Zerstörung aufweisen, war es schon etwas gruselig hier herum zu fahren. Bis in die 90er Jahre unternahmen die Sowjets keine 30km weiter westlich unzählige unter- und oberirdische Atomtests. Es gibt sogar das Bestreben, dieses Testgelände als "Erinnerung für die Menschheit" ins UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen. Die Strahlenbelastung liegt bei dauerhaftem Aufenthalt in dieser Region weit über den Grenzwerten. Ist jedoch unbedenklich bei einem solch kurzen Besuch. Das zum Zeitpunkt unserer Ankunft abziehende leichte Gewitter, gab der Stimmung unsere Bilder noch einen zusätzlich mystischen Anstrich.
Erst als wir das 4km lange Rollfeld erreichten, auf dem damals die schweren 4-motorigen Sowjet-Bomber landeten, kam die Sonne heraus und tauchte die Szenerie ebenfalls in ein perfektes Licht. Das Rollfeld besteht aus Betonplatten, die bis heute noch alle zu 100% intakt sind. Allerdings wächst außer auf der Hauptrollbahn überall Gras zwischen den Platten und vor frischen Kuhfladen kann man sich hier auch nicht sicher sein. Völlig unbekümmert ob der Strahlenbelastung lassen die Bauern ihre Kühe in dem Gebiet weiden. Zum Glück war an dem Tag nur das Ende des Rollfelds mit Kuhfladen völlig zu gekleistert, so dass unsere zwei Vollgasfahrten sicher und sauber(!) abliefen.
Die Hin- und Rückfahrt mit den beiden machte Spaß, war aber bei starkem Gegenwind und mit über 100km/h auf der schlechten Straße für mich deutlich anstrengender. Ohne Windshield zerrt es doch gewaltig an der Nackenmuskulatur. Was für ein Timing?! Kaum am Hotel angekommen, gab es einen gigantischen Wolkenbruch. Erst kurz vor Sonnenuntergang wurde es wieder schön und die Zeit nutzten wir für einen kleinen Spaziergang. Ich kündigte meine Abreise für den nächsten Tag an. Matthias und Natalie hatten den gleichen Plan, sie wollten nur nicht wie ich ohne Frühstück so früh losfahren.
19. Juni 2019
Ab heute ist mein Visum für Russland gültig. Mein Tagesziel: Barnaul. Bereits um 5:30Uhr schlich ich mich nach der üblichen Morgentoilette mit allen Klamotten aus dem Zimmer und zog mich erst im Hotelflur an. Schnell alles aufs Motorrad gepackt und nach einem Automatenkaffee war ich bereits um 6:15Uhr auf der Gasse. Doch diese gewonnene Zeit, gegenüber der sonst üblichen Abfahrtszeit um 9:00Uhr war bis Mittag mehr als aufgebraucht. Mein Navi machte mir da einen gehörigen Strich durch die Rechnung!
Die ersten rund 100km waren ein Befreiungsschlag. Auch wenn es teilweise noch recht frisch war, ich genoss die noch tief stehende Morgensonne. Bei jeder Lichtung der Birkenwälder glitzernden die Eisblumen des Morgentaus in allen Regenbogenfarben. An einer Wegkreuzung sollte ich laut Navigation, dem Abzweig nach links folgen. Das Richtungsschild wies auch auf die Border-Zone hin und ich folgte dem Ratschlag, obwohl die vorherige Beschilderung in Richtung Barnaul diesen Abzweig nicht anzeigte.
Den sich stets verschlechternden Straßenzustand nahm ich als normal hin. Das hatten wir ja bereits in den anderen Stan-Ländern vor jedem Grenzübergang so erlebt. Doch als die Piste nach dem regnerischen Vortag so richtig schlammig wurde, kamen Zweifel auf. Aber was soll es? Bis zur Grenze waren es nur noch rund 18km. Also fuhr ich teilweise nur mit 20km/h durch die zahlreichen Pfützen und entlang der glitschigen Spurrillen. Na Toll! Mein Motorrad wurde gerade erst am Vortag gewaschen. Aber was will man da machen?
Kurz vor der Kasachisch-Russischen Grenze wurde die Straße nochmals besser. Als ich die Grenze erreichte, deuteten mir die Grenzsoldaten sofort, dass sie mich nicht einfahren lassen dürfen. Mir war auch sofort klar warum. Dieser Übergang war, wie einige andere auch, nur für kasachische und russische Grenzgänger gedacht. Nach wenigen Minuten standen freundliche Grenzsoldaten um mich herum, die mir alle den richtigen Weg auf meiner Navigation zeigen wollten. Ich glaubte schon alles verstanden zu haben, doch sie zeigten mir immer wieder den Weg zum richtigen Übergang.
Immer aufpassen, wenn Einheimische versuchen zu erklären! Ich war mir aber zu selbstsicher und nahm auf dem Rückweg den Abzweig, auf dem ein Hinweis nach Barnaul stand. Das war aber nicht die Route des Hinwegs, sondern aus der Vogelperspektive eine Abkürzung um zum richtigen Grenzübergang zu kommen. Jedoch aus meiner Perspektive tat sich mal wieder eine mega schlammige Straße auf. In mindestens 5 Situationen hätte die kleine Engländerin fast ein unsanftes Schlammbad genommen. Das Profil des Vorderrads hatte dem glitschigen Untergrund nichts entgegen zu setzen. Einige bereits nach der Gewitterschauer vom Vorabend gezogenen Autospurrillen machten das finden einer jungfräulichen Linie nicht einfacher. Das war eine der größten Dreck oder besser längsten und glitschigsten Schlammpisten auf fast 50km Länge. Man kann sich vorstellen, dass ich in dem Moment recht sauer auf mein Navi und mich selbst war. Doch es gehört zum Gesamtabenteuer und das war mir ebenfalls im gleichen Moment bewusst. Und schon hatte ich wieder gute Laune :-)
Egal nach annähernd 2 mühsamen Stunden kam ich wieder zurück auf die richtige und wunderbar geteerte Straße in Richtung Grenze und im weiteren Verlauf nach Barnaul. Eine halbe Stunde später war der Grenzübergang erreicht. Lediglich zwei Sattelschlepper und dahinter 2 PKW standen vor mir. Doch auch hier tat sich nicht viel. Innerhalb des Grenzbereiches war ein Reisebus zu erkennen und solch eine Abfertigung nimmt viel, viel Zeit in Anspruch. Nach meinem blöden Umweg an die falsche Grenze, war es auch kaum verwunderlich, dass Natalie und Matthias kurze Zeit später eintrafen. Matthias sprüht ständig vor großer Ungeduld und hat stets ein recht vorlautes Auftreten. Aber manchmal hilft es :-) So bequatschte er auch gleich den Grenzsoldaten, dass wir Motorradfahrer uns doch ganz vorne einreihen dürfen, was an vielen Grenzübergängen auch völlig normal ist.
Das übliche Prozedere mir Aus- und Einreise, Gepäckkontrolle und immer wieder Passkontrolle begann. Unmittelbar nach der letzten russischen Einreiseschranke standen bereits 3 Motorradfahrer aus Tirol und Deutschland, von denen einer einen Plattfuß an seiner GS hatte und gerade seinen frisch geflickten Hinterradreifen aufzog. Wir scherzten, dass der wohl zu früh über das Nagelbrett der Grenzsicherung gefahren ist und sich somit seinen Reifen zerstochen hat. Es war aber doch ein Nagel auf dem Weg zur Grenze, versicherte uns später der Fahrer. Dieses Zusammentreffen mit den Dreien sollte nicht das letzte bleiben.
Ich war nun endlich in Russland. Und da geht es in Kürze weiter :-)
Bleibt also neugierig!